Der versandte Brief
Die Entrüstung der Behörden und der PolitikerInnen bezüglich der gefälschten Briefe, die wir den EinwohnerInnen in Giffers zukommen liessen, nehmen wir mit Gleichgültigkeit zur Kenntnis.
Die Briefe sollten ein Spiegel sein, den wir all denen vorhalten wollen, welche bisher zum geplanten Bau des Bundeszentrums in der Nähe von Giffers öffentlich oder für sich selbst Stellung bezogen haben. Wir erhofften uns, dass die indirekten Vorwürfe wenigstens für einige lesbar sein würden und eine gewisse Betroffenheit schaffen könnten. Sei es, weil einige RassistInnen in ihrem kurzsichtigen, egoistischen Denken für einen kurzen Moment beschämt waren oder sei es, weil einige selbsternannten GutbürgerInnen ihre scheinheilige humanitäre Einstellung reflektieren mussten. Sie, die geglaubt haben, angesichts des verbreiteten Rassismus sei es nichts als menschlich, sich für die geplanten Bundeszentren auszusprechen. Diese Reaktion, welche die passive Zustimmung zu den herrschenden Verhältnissen beinhaltet, ist zu einfach.
Es gibt viele Gründe, die geplanten Bundeszentren abzulehnen, und diese haben nichts mit Giffers oder irgendeinem geografischen Standort zu tun, egal wie zentral oder abgelegen, egal wie rassistisch die Anwohner sind.
Die Lager sind ein Mittel der Unterdrückung, sie Isolieren die MigrantInnen vom Rest der Gesellschaft, um sie besser kontrollieren zu können. Sie werden als Asylsuchende in verschiedene Kategorien eingeteilt, je nachdem woher sie kommen, ob ihnen in den Befragungen geglaubt wird, ob sie sich unterwerfen. In den Lager wird der ganze Tagesablauf fremdbestimmt, wer sich wo aufhalten darf, was gegessen wird, wann geschlafen wird. Die MigrantInnen haben wenig Möglichkeiten, sich der vollkommenen Bevormundung ihres Lebens zu entziehen, da sie in ihrer Lage als Asylsuchende erpresst werden.
Wer nicht vollständig kooperiert, hat kaum Chancen auf einen positiven Asylentscheid. Jede Art der finanziellen Unabhängigkeit wird gesetzlich und durch verschiedene Reglemente unterbunden. Erlaubt ist lediglich die Teilnahme an Arbeitsintegrationsprogrammen, eine üble und scheinheilige Form der Ausbeutung. Die Teilnehmenden räumen in den meisten Fällen Müll weg, für einen „symbolischen Lohn“ und für „gesellschaftliche Anerkennung“.
Diese Situation wird nicht erst durch die geplanten Bundeszentren zur Realität, es ist die Realität des bestehenden Migrationsregimes. Die neuen Lager stellen aber eine Zentralisierung dar, welche eine noch bessere Kontrolle, noch einfachere Abgrenzung und Kategorisierung und eine effizientere, schon fast maschinelle Abfertigung der MigrantInnen ermöglicht.
Wenn wir sagen, wir kämpfen gegen die geplanten Bundeszentren, so meinen wir nicht nur diese neuen Lager, sondern alle bestehenden Institutionen und Abläufe eines Regimes, das Menschen überwacht, kontrolliert und voneinander abgrenzt. Dazu gehört auch die Schweiz und die Staaten im Allgemeinen, welche Herrschaftsinstrumente sind, um Menschen ein- oder auszuschliessen und bestmöglich auszunutzen.
Diese Woche war die Empörung über die ertrunkenen MigrantInnen im Mittelmeer gross und auf einmal, wahrscheinlich aufgrund einer höheren Zahl von Toten in kürzerer Zeit, scheinen alle um eine Lösung bemüht. Die erneute Katastrophe im Mittelmeer ist kein Zufall, keine Ausnahme, es ist die Folge einer Politik, welche solche Szenarien in Kauf nimmt. Es sind genau die Herrschenden, welche diese Situation täglich verantworten und ebendiese schlagen vor, die bisherigen Mittel, welche diese Katastrophen massgebend ausgelöst haben, zu verstärken. Nicht, weil es die einfachste und logische Variante ist, um erneute Katastrophen zu verhindern (das wäre das Abschaffen der Grenzen), sondern weil es die einzige Variante ist, ihre Herrschaft und den ständigen Bedarf der Wirtschaft, welche von der globalen Ausbeutung und von der immer stärkeren Umverteilung von Ressourcen und Reichtum abhängig ist, zu erhalten. Dies wird sich nicht ändern, solange der Glaube an die Politik, die Wirtschaft und die Demokratie nicht angekrazt wird.
Dieses System ist nicht für das Wohl aller Menschen geschaffen, es hat sich nicht in diese Richtung entwickelt und jetzt, wo die ständige Krise eine erneute Dramatisierung erlebt, reagieren die Herrschenden auf Widerstand mit erhöhter Repression. Dies trifft am stärksten und am offensichtlichsten die Menschen in prekären Situationen, wie auch die MigrantInnen, die hierher kommen wollen.
Es scheint höchst naiv, die Lösung der bestehenden Probleme denen überlassen zu wollen, welche sie willentlich geschaffen haben und davon profitieren.
Der Bundespräsidentin, dem SEM (Staatssekretariat für Migration), dem EJPD (Eidgenössisches Polizei- und Justizdepartament) und jeglichen anderen Institutionen, die mit dem Migrationsregime verknüpft sind, haben wir nicht viel zu sagen. Das einzige, was wir uns von ihnen wünschen könnten, wäre ihre Selbstabschaffung, und da dieses Szenario höchst unwahrscheinlich ist, erklären wir ihnen den Kampf.
Wir wollen eine Welt, in der Menschen selbstbestimmt und in Freiheit leben können und jeder Tag enthält die Möglichkeit, für diese Welt einzustehen.