Liebe Gefährten, liebe Freunde
Einen Monat ist es nun her, seit ich am 29. Januar, auf dem Weg zur Arbeit, nachdem ich gerade mit dem Fahrrad von der Langstrasse in die Josefstrasse einbog,von einem Ziviauto zum Anhalten gedrängt und von zwei weiteren Zivilpolizsten auf Fahrrädern hinten überfallen wurde. Darunter eine Frau, von der ich mich erinnere, dass sie mir schon seit kurz nach meinem Haus gefolgt sein muss. Danach ging es , in Begleitung von etwa 15 ungeladenen Gästen, zu einem letzten Besuch in meiner Wohnung, meinem Auto und der anarchistischen Bibliothek, wo jeweils elektronische Datenträger, Unterlagen und anderes beschlagnahmt wurden.
Nun bin ich also in jener anderen Dimension gelandet, bestehend aus engen Räumen, grobklotzigen Möbeln, langen Korridoren, Gittern, immer wieder Gittern und Stahltüren, deren Auf und zuschliessen den Rhytmus des Alltags diktiert. Nur wenige hundert Meter entfernt von den vertrauten Orten und Personen, aber getrennt von der Gewalt einer ganzen Gesellschaft, die das Regime von Mauern und Gesetzen dem Walten von Freiheit und Gewissen vorzieht. Draussen mögen wir träumen, experimentieren, rebelllieren aus verletzter Würde im Angesicht der Schändlichkeiten auf welch diese Welt sich stützt, allmählich verweben sich unsere Erfahrungen und Erkenntnisse zu einer Gesamtsicht und erschliessen wir im Denken und im Handeln die Bedingungen der Herrschaft, um uns davon zu befreien, und den Katalog der vorgefertigten Modelle zurückweisend, auch der anarchistischen, entwickelt sich in uns, wie von selbst, ein revolutionäres Projekt heraus, worin sich Theorie und Handlung unablässig herausfordern, verschlingen, wir können uns wachsen spüren und glauben fast, wir könnten die Welt umarmen, und doch, zack!, kann sich alles in einem Moment auf wenige Quadratmeter reduzieren. Jeder Anarchist weiss das und hat es immer irgendwo im Hinterkopf, mehr oder weniger präsent. Eben die Existenz dieser Möglichkeit, sinnblildlichst für den wesentlichen Kern dieser Gesellschaftsordnung, ist erst recht Grund um unser Leben nicht schon draussen zu einem Gefängnis zu machen: der Konventionen und Vorurteile, der fortschreitenden Kompromisse und flüchtigen Befriedigungen, die uns über den nächsten Tag bringen, des gewzungenen Tuns und der Angst, die uns klein glauben will.
Dieses revolutionäre Projekt, das jeder Anarchist in sich entwickelt, entwickelt sich weiter, auch wenn jemand im Gefängnis sitzt. Dazu beizutragen und unsere Initiative nicht dem Diktat der Repression zu opfern, darin besteht eine revolutionäre, und nicht lediglich anti-repressive, selbstverständlich menschliche Solidarität, die auch ich für jeden empfinde, der in den Kerkern des Staates schmort. Wir könnten verleitet sein, zu sehr nur auf den Bullenknüppel und auf den Knast zu schauen. Aber im Grunde, Repression, das ist auch, das Unterbreiten von symbolischen Ritualen und Inhalten, die uns in einem kulturellen Ghetto einschliessen und der Realität des sozialen Kampfes entziehen, die Offerierung von partizipativen Lösungen für kleine Zugeständnisse, das allseitige Bedrängen mit Anreizen und Informationen, die immer weniger reale Bedeutung haben, die Entleerung der Sprache, womit wir unsere Ideen uns selber und anderen verständlich machen. Dies alles trägt vielleicht viel massgeblicher dazu bei, eine Auflehnung gegen die bestehenden Verhältnisse zu reprimieren. Zumindest, denke ich, müssten auch diese Probleme in einem Zusammenhang gesehen werden.
Was meine persönliche Situation betrifft, so bin ich den Umständen entsprechend wohlauf. Ich bin traurig, den geliebten Personen und den gehegten Träumen so plötzlich entrissen zu sein. Aber es gelingt mir gut, wenn schon nicht ausserhalb, so innerhalb von mir das Weite zu suchen. Ich nutze die Zeit und Musse zum Lesen und Schreiben, Lernen und Studieren. Es gibt einige Leute hier, mit denen ich mich gut unterhalten kann. Ich freue mich über Zusendungen von Nachrichten und Analysen über das Weltgeschehen, von anarchistischen Publikationen (Briefumschlag tauglich), sowie natürlich von Briefen von Gefährten und befreundeten Bekannten. Ich verstehe Deutsch, Französisch, Italienisch. Englisch und etwas Spanisch und Türkisch. Selbstverständlich beteiligt sich auch die Staatsanwaltschaft beim lesen. Zuletzt möchte ich mich noch bei all jenen herzlich bedanken, die mich mit den möglichen Mitteln unterstützen.
Ich wünsche euch Mut und Kraft da draussen, wo es dessen mehr noch bedarf als hier drinnen. Zumindest kann mehr daraus werden. Das Heil liegt in euch, wie man einmal sagte. Ich umarme euch von ganzem Herzen!
1. März 2019, Gefängnis Zürich