Tag für Tag perfektioniert der Staat seine Mittel zur Kontrolle und Überwachung der Bevölkerung (wachsende Anzahl Kameras, Inbetriebnahme von neuen biometrischen und mit Chip versehenen Papieren, Drohnen, DNA-Erfassung…). Die technologischen Mittel, die der Staat auf uns alle anwendet, sind eine Illustration seiner Angst von Revolten, die das friedsame Leben der Dominierenden erschüttern könnte. Zu allen Zeiten in der Geschichte hat die Herrschaft mit dem Schreckgespenst des inneren Feindes gedroht – das sie benutzt, um den Bürgern Angst zu machen und ihre Unterstützung zu gewinnen – mit dem Ziel, seine eigene Sicherheit auszubauen, anders gesagt der Schutz der sozialen Ordnung. Heute ist es der „bärtige Islamist“ (auch als Einzelner), der ihr als Schreckensbild dient, um niederträchtige Gesetze in Windeseile zu erlassen. Man kann daher seit anfang Januar und dem Attentat auf „Charlie Hebdo“ (das bereits in der 2. Ausgabe von „Séditions“ angeführt wurde) von antiterroristischen Gesetzen sprechen. Am 18. September zahlte ein Betrüger, der sich auf einem Zug auf der Toilette einsperrte, um nach Paris zu gelangen, den Preis für den Staatsterrorismus: Hunderte Bullen mit einem Helikopter griffen ein, um den Bahnhof von Rotterdam zu evakuieren. Der Zugverkehr wurde ebenfalls blockiert. Das verübte Verbrechen: Der Wille gratis zu reisen, ohne durch den Schalter zu gehen! Anders gesagt ist dies ein perfektes Abbild dieses Krieges gegen die Armen. Mitte Oktober weitete der Staat – im rechtlichen Rahmen – die Befugnisse der Bullen und den Milizen des Transports (SNCF, RATP) aus: Gepäckkontrollen, „Sicherheitsabtastungen“, Durchsuchungen werden für sie leider möglich. Bis anhin konnten Polizisten und Gendarmen Gepäck von Passagieren nur im Falle eines erwiesenen „Delikts“ durchsuchen und auch dies nur mit der Einwilligung der Passagiere. Und wenn du dich den Befehlen der Ordnungshüter nicht beugst, wird dir der Zugang zum Zug verwehrt. Die Zusammenarbeit der verschiedenen Repressionsorganen wird ausgebaut, wie dies die Übungen bezeugen, bei der Sicherheitsagenten der SNCF bei den Soldaten lernten, wie Widerspenstige besser gebändigt werden können. Bald wird der Staat die Nutzung von Drohnen ausbauen, um die Überwachung sogenannt „sensibler“ Infrastruktur zu vergrössern (die Gendarmerie wird die erste sein, der dies zur Verfügung gestellt wird). Die SNCF plant bereits dessen Nutzung in der Nacht ein, um gegen die Sabotagen auf den tausenden Kilometern der Bahnstrecken anzukämpfen, die derart neuralgische Punkte für das reibungslose Funktionieren des Warenverkehrs, sowohl menschlich wie materiell, darstellen.
All die unzähligen Mittel zur Überwachung sind eng mit dem Krieg verbunden, den der Staat gegen die Migranten führt.
Am letzten 12. September ruften internationalistische Aktivisten zu einer Versmmlung zum Empfang von Flüchtlingen in Besançon auf (ausgerechnet unter dem Slogan „Flüchtlinge willkommen“). Zuerst ist es wichtig sich zu erinnern, dass derjenige, der als „Flüchtling“ anerkannt ist, von einem Kriegsland kommt, das der („Aufnahme-“) Staat als solches anerkennt. Er ist es, der entscheidet, ob dieser oder jener Migrant den Status („des politisches Asyls“ oder „des Flüchtlings“) verdient hat oder eben nicht. Und diese Mission der Sortierung wird, unter anderen, den karitativen Organisationen (Emmaüs, Rotes Kreuz, etc…) überlassen. Diese Status, die von vorne bis hinten vom Staat konstruiert sind, versuchen zwischen den Migranten bei ihrer Suche nach diesem verdammten Stück Papier, Spaltungen hervorzurufen. Der Erhalt dieses Passierscheins („laissez-passer“) kann nicht als ein Ziel an sich verstanden werden. Als Anarchisten sind wir für das Ende mit allen Staaten und ihren Papieren, ihren fiktiven und realen Schranken, die die Dominierenden zwischen den Menschen auf der ganzen Welt errichten.
Die Angst des Staates liegt im Übrigen im unkontrollierbarem Aspekt der Immigration: Die Mission der Registrierung von Migranten durch die uniformierten Militärs und Humanitären, ihre europäische Koordination durch die Agentur FRONTEX sind da, um dem zu begnegen.
So ist es auch keine Überraschung, dass dieser Aufruf zur Versammlung leicht von der lokalen Macht rekuperiert werden konnte (in ihrer Zeitung nimmt der Bürgermeister der PS (Parti Socialiste) diese Mobilisierung mit einer Prise Chauvinismus auf sein Konto). Was gibt es letztendlich normaleres, als die „Aktivisten“, die sich auf das gleiche Spielfeld wie die Macht begeben. Der Staat und die Bürgermeisterämter gehen noch weiter, indem sie verkünden, eine limitierte Anzahl Migranten, Opfer des vom IS auferlegten Terrors, aufzunehmen. Der Staat ruft die Bürger zur Wohltätigkeit auf und verwandelt sie so in karitative Freiwilligenarbeiter. Der Migrant wird als Opfer und abhängiges Wesen betrachtet, den es in die Gesellschaft zu integrieren und produktiv zu machen gilt. Diese Quoten sind offensichtlich nichts anderes als selektive Immigration: Sie stellen sich den Plänen der Staaten bei, denn es handelt sich um die Suche nach Arbeitskräften im technischen Sektor wie der Informatik (in Deutschland hat die Regierung bereits angekündigt, syrische Migranten für ihre grossen Kompetenzen und Kenntnisse in diesem Bereich zu regularisieren). Dennoch hat die Abschiebemaschine des Staates noch nie so gut funktioniert: Razzien in Zusammenarbeit zwischen Kontrolleuren und Sicherheitsbeamten der SNCF, Grenzpolizei, etc… ; Sans-Papiers, die mit Gewalt in die Charterflüge von Air France gepresst werden; Abschiebeverfahren gegen Familien und ihre Kinder (eingeschult oder nicht, wen kümmerts!) sind hierbei alltägliche Vorführungen. Die Bullen und Funktionäre bekämpfen diejenigen, die sich auf irgendeine Art über den Staat und seine Gesetzen hinwegsetzen; die, wie viele andere – immer mehr, mit oder ohne Papiere – keine andere Wahl haben als die Illegalität, um zu überleben…
Die Sans-Papiers durch das Sammeln von Kleidern, Nahrung und kleinen Geldbeiträgen während den Konzertabenden zu unterstützen, ist gewiss lobenswert, doch was ist unsere Haltung gegenüber den Institutionen, die an ihrer Sortierung, ihren Abschiebungen, ihrer Einsperrung mitwirken? Lässt man sie weiter im Frieden oder nimmt man das Problem in die Hände und greift sie an? Hier tuen sich die unerschütterlichen Gräben zwischen jenen auf, die die Fundamente dieser Welt in einer revolutionären Perspektive durchbrechen wollen und denen, die das Existierende erträglicher machen wollen und es somit erhalten. Die Selbstorganisation unter den Beherrschten (Unterkunft, Nahrung, das alltägliche Durchschlagen betreffend) ist sicherlich mehr als notwendig, doch macht sie nur Sinn, wenn sie gleichzeitig von offensiven Praktiken gegen die Strukturen der Macht, die unterdrücken, einsperren, abschieben und mit allen aufräumt, die als schädlich oder überflüssig für den Vormarsch des Kapitalismus und die Stabilität des Staats betrachtet werden, begleitet ist.
Um auf diese Versammlung zurückzukommen, einige Anarchisten waren dennoch anwesend, um einen Flyer mit dem Titel „Weder Staat noch Wohltätigkeit – aktive Solidarität mit allen Sans-Papiers“ zu verteilen, um einen anderen Klang als derjenige der Organisationen der extremen Linken, die ihre politischen Programme verteilten, beizusteuern.