[„Wir sind im Hungerstreik. Schließt das Lager von Paranesti. Wir wollen Papiere auf unsere Namen. Frei zu sein ist das natürliche Recht eines jeden Menschen. Für unsere Forderung an die griechische Regierung müssen wir in den Hungerstreik eintreten. Frei zu sein ist unser Menschenrecht und muss uns zugestanden werden. Der Hungerstreik ist der Kampf für unsere Freiheit. Sterben heißt den Hungersrteik weiterzuführen. Tod oder Freiheit.“]
Erklärung der hungerstreikenden Migranten
Neue Regierung, gleiche Kämpfe
Es hat in Bezug zum Wahlsieg von Syriza viel Tam Tam gegeben und viele linke und linksradikale Gruppen in Deutschland haben viel Blödsinn dazu geschrieben. Es wurde großmundig behauptet, in Syriza habe „die Solidarität mit den Migrant_innen und Geflüchteten einen Ort“ und die neue Syriza-Vizeministerin für Migration Tasia Christodoulopoulou wurde für ihre „enge[n] Beziehungen zur griechischen AntiRa-Bewegung“ gelobt. Interessanterweise hat sie genau an dem Tag, als der Hungerstreik in Paranesti begann, in einem Radiointerview klipp und klar erklärt, dass die Lager nicht geschlossen werden und nur wenige Tage später ließ Yiannis Panousis, der unabhängige Vizeminister für Öffentliche Ordnung und Bürgerschutz, vernehmen, dass das Land keine Migrant_innen mehr aushalte und die Lager nicht nur nicht geschlossen werden, sondern sogar die Möglichkeit bestehe, sie wieder zu füllen. All die, die seit langem an der Seite der Migrant_innen und Geflüchteten kämpfen, brauchten auf diese offiziellen Stellungnahmen allerdings gar nicht warten. Die Art und Weise, wie Syriza Mitte Februar in puncto Migrationspolitik reagierte, nachdem es zwei Selbstmorde von Migranten und einen Toten aufgrund verweigerter medzinischer Behandlung in Lagern bzw. Polizeiwachen gegeben hatte und ein Aufstand im Lager von Amygdaleza ausgebrochen war, hatte allen klar gemacht, dass Syriza keine antirassistische Politik verfolgt, sondern die migrantische Bevölkerung in Griechenland nur auf eine etwas andere Art verwaltet.
Panousis hatte in Reaktion auf den Aufstand im Lager von Amygdaleza angekündigt, es in 100 (!) Tagen zu schließen und begonnen Schritt für Schritt einige wenige Migrant_innen zu entlassen. Anschließend wurden die migrationspolitischen Pläne der Regierung veröffentlicht. Schrittweise sollen alle Migrant_innen, die länger als 6 Monate eingesperrt sind, entlassen werden (statt den bisher bis zu 18 Monaten Internierung und sogar länger). Dabei erhalten sie einen Schein, der ihre Abschiebung um ein halbes Jahr zurückstellt. Werden sie bei illegalem Grenzübertritt gefasst, erhalten sie – wie auch bisher üblich – einen weiteren Schein, der ihnen wiederum einen Monat gibt, das Land zu verlassen. Werden sie innerhalb diesem Monats noch einmal verhaftet, gibt es wieder einen Schein, der ihnen ein halbes Jahr Zeit lässt, das Land zu verlassen. Und danach wartet auf sie die gleiche unklare und prekäre Lage, in der sie schon seit Jahren leben. Die Lager bleiben bestehen und die Praxis, Migrant_innen nicht zu abzuschieben, sondern ihren „selbstständigen“ Grenzübertritt – selbstverständlich über die lukrative Schlepper-Industrie – durch den unaushaltbaren Druck aus Polizeigewalt, faschistischen Terror und Armut zu erzwingen, wird fortgeführt. Die Lage hat sich im Vergleich zum Höhepunkt der rassistischen Staatspolitik von 2011 bis 2013 also etwas entspannt.
Das ist aber bei weitem kein radikaler Kurswechsel einer angeblich antirassistischen Linksregierung, sondern nur die Fortführung des Paradigmenwechsels in der staatlichen Verwaltung der migrantischen Bevölkerung, der bereits vor den Wahlen vollzogen worden war. Schon die ND-Regierung hatte angefangen, schrittweise Migrant_innen aus den Lagern zu entlassen und ließ im Oktober 2014 das Lager in Komotini schließen. Dabei hatte die Polizeigewerkschaft schon Ende 2013 gefordert, die Lager in ordentliche EU-finanzierte Aufnahmezentren zu transformieren. Die Lager selbst waren 2012 als ein Mittel zur Verwaltung der militanten Massenmobilisierungen gegen die Austeritätsmaßnahmen eingeführt worden. Durch die Schaffung eines inneren Feinds und Sündenbocks, durch die Verhängung eines Ausnahmezustands über ihn, durch den Ausbau und die Faschisierung des Polizeiapparats und den Aufbau der Goldenen Morgenröte als tiefen Staat konnte die Bedrohung der kriselnden kapitalistischen Ordnung durch die aufkommenden sozialen Bewegungen von Seiten des Staats abgewehrt werden. Mit der Restabilisierung der politischen Lage und der Demobilisierung der Bewegungen ab 2013 verloren die Lager ihre Funktion. Der Unterschied ist nun, dass Syriza im Gegensatz zu Nea Dimokratia nicht still und heimlich die Migrant_innen aus den Lagern entlässt, sondern viel Aufhebens um die Anpassung staatlicher Migrationspolitik an die neue Lage macht.
Der Hungerstreik in Paranesti
In diesen Kontext fällt der Hungerstreik, der gerade in Paranesti abläuft. Das Lager von Paranesti ist Teil des Lagersystems, das 2012 von der damaligen Nea Dimokratia-Regierung aufgebaut wurde. Ob man diese nun wie Genoss_innen in Griechenland als Konzentrationslager bezeichnen möchte oder nicht, ist zweitrangig. Fakt ist, dass die griechischen Lager starke Ähnlichkeiten mit der historischen Institution des Konzentrationslagers aufweisen: Es sind rechtsfreie Zonen, in denen ein im Grunde unschuldiger Teil der Bevölkerung eingesperrt und einem dauerhaften Ausnahmezustand unterworfen wird, der die Internierten entwürdigt und entmenschlicht. Selbstmisshandlungen, Selbstmorde und Todesfälle aufgrund verweigerter medizinischer Behandlung sind Normalität. Im Lager von Paranesti sind zurzeit über 210 Menschen interniert, davon ca. 80 Minderjährige und viele für bereits mehr als neun Monate. Das Lager ist von drei Reihen hohen Stacheldrahtzauns samt Scheinwerfern umgeben, die einzelnen Bereiche sind ebenfalls mit Stacheldrahtzäunen voneinander abgetrennt, selbst die Dächer der Container-Häuschen, in denen die Migranten untergebracht sind, sind mit Stacheldraht unzugänglich gemacht. Das Lager ist unter dauerhafter Kontrolle durch die Polizei, die die internierten Migranten schikaniert und terrorisiert. Die Lebens- und Wohnbedingungen sind menschenunwürdig.
Hier also begannen am 23. März 23 Migranten den Hungerstreik. Sie erklärten, bis zur Schließung des Lagers und ihre Freilassung oder bis zum Tod zu hungern. Während der ersten Tage wurden sie dafür von den Bullen schikaniert, in einem eigenen Bereich isoliert und damit bedroht, in verschiedene Lager aufgeteilt zu werden. Seitdem die Solidarität von Seiten der anarchistischen/antiautoritären Bewegung merkbar geworden ist, sind die Behörden vorsichtiger geworden. Die Bedingungen sind im Vergleich zum Hungerstreik der Gefangenen in den Knästen ungleich härter. Die Migranten sind isoliert, haben kein lagerübergreifendes Netzwerk untereinander, kaum Solidarität von draußen, keine Medienaufmerksamkeit, kein Geld und sind allgemein viel schlechteren Lebensbedingungen unterworfen. Trotz all dieser Widrigkeiten führen sie ihren Widerstand und den Hungerstreik bereits den 13. Tag fort.
Solidarität und gemeinsame Kämpfe!
Vom ersten Tag an wurden die hungerstreikenden Migranten von antirassistischen Gruppen aus der anarchistischen/antiautoritären Bewegung aus Thessaloniki und Drama unterstützt. Genoss_innen, bewegungsnahe Anwälte und Ärzte sind nach Paranesti gefahren, um sie zu sehen und es haben mehrere Solidaritätsaktionen stattgefunden. Am 29. März 2015 hat eine Gruppe von Antirassist_innen direkt am Lagerzaun ihre Solidarität mit den hungerstreikenden und allen anderen Migrant_innen bekundet. In Thessaloniki wurden Kundgebungen durchgeführt, Flyer verteilt und Plakate verklebt. Gestern, am 3. April 2015, fand in Thessaloniki eine vom No-Lager-Plenum organisierte Demonstration mit ca. 150 Menschen aus der anarchistischen/antiautoritären Bewegung statt. Linke, Syriza- oder Antarsya-nahe, antirassistische Organisation wie die KEERFA beteiligen sich an all dem nicht.
Plakat des No-Lager-Plenums Thessaloniki zur Demo vom 03. April 2015
Dieser Hungerstreik ist nicht der erste sichtbare Widerstand in den Lagern seit dem Beginn der Syriza-ANEL-Querfront-Regierung. Am 13. Februar kam es nach dem Selbstmord eines Migranten im Lager von Amygdaleza zu einem Aufstand. Im Lager von Korinth fand am 16. März ein zweitägier Hungerstreik von 300 Migrant_innen statt und am 24. März stiegen dort drei-vier Migranten aufs Dach und drohten sich umzubringen. Vom 19. bis 20. März waren in der Polzeistation von Lithi bei Thessaloniki rund 17 minderjährige Migrant_innen in den Hungerstreik eingetreten.
Dabei ist klar, dass sich unsere Solidarität mit den Migrant_innen nicht auf Mitleid oder Humanismus gründet, keine wohlwollende Geste gegenüber den „armen Teufeln“ darstellt, sondern wir mit den Migrant_innen als dem prekärsten und verletztlichsten Teil der Arbeiter_innenklasse, als unseren Klassengeschwistern solidarisch sind. Ihr Kampf gegen das menschenverachtende Lagersystem, gegen den europäischen Rassismus und Kolonialismus ist zentral im Kampf für die Befreiung von Allen von uns von der Herrschaft von Staat und Kapital.
Wir rufen Genoss_innen und Antirassist_innen überall und gerade in Deutschland, wo eine der stärksten und kämpferischsten antirassistischen Bewegungen und Selbstorganisationen der Flüchtlinge und Migrant_innen existiert, dazu auf, ab sofort Solidaritätsaktionen jeglicher Art in Unterstützung des Hungerstreiks in Paranesti und seiner Forderungen durchzuführen. Auf dass das Gefasel von „kritischer Solidarität“ mit Syriza endlich ein Ende nimmt und wir die Kämpfe der Migrant_innen – nicht mit, sondern gegen die Linksregierung – unterstützen!
Solidarität mit dem Hungerstreik der Migranten im Lager von Paranesti!
Reißen wir gemeinsam mit dem Migrant_innen die Lager ein!