Die jüngsten Entwicklungen des Schweizer Asylregimes

aus „Dissonanz – anarchistische Zeitung“

Kernpunkte der Eidgenössischen Asylpolitik

« Aufgabe des Asylverfahrens ist es, unter den neu eintreffenden Asylsuchenden jene zu
erkennen, die nach den beschriebenen Kriterien Anspruch auf Schutz haben. Viele Asylsuchende
sind weder Flüchtlinge noch Kriegsvertriebene. Aufgrund ihrer Situation gehören sie klar zur
Gruppe der Migrierenden. Sie suchen in der Schweiz einen besseren Platz zum Leben. Weil sie
wissen, dass sie kaum eine Einreise- und Arbeitsbewilligung erhalten, überqueren sie die Grenze
illegal. Für die Befragung durch die Behörden legen sich manche von ihnen eine dramatische
Verfolgungsgeschichte zu. Sie hoffen dadurch den Flüchtlingsstatus zu erlangen. Aus der Sicht
des Betroffenen ist dieses Verhalten verständlich, aus asylrechtlicher Perspektive handelt es sich
um einen Missbrauch des Asylverfahrens. Die Behörden müssen solche Gesuche möglichst
rasch abweisen und die Wegweisung konsequent vollziehen. Dadurch wird das Asylverfahren für
arbeitsuchende AusländerInnen unattraktiv. Missbräuchliche und schlecht begründete
Asylgesuche werden prioritär behandelt. Die Mehrheit der Asylgesuche wird heute innerhalb von
drei Monaten entschieden. Gesuche von Personen, die in der Schweiz straffällig werden oder
deren Verhalten zeigt, dass sie nicht gewillt sind, sich in unsere Gesellschaft einzufügen, werden
nach Möglichkeit noch rascher bearbeitet. »
(Bundesamt für Migration, BfM)

Kurzer Überblick

Die oben genannten Kernpunkte des BfM sind das Resultat einer Asylpolitik, welche sich in den
letzten acht Jahren drastisch verändert hat. Es ist offensichtlich, dass der Staat Schweiz,
Vertragspartner des Dublin-Abkommens, ins gleiche Horn bläst, wie der Rest der EU. Dieses
Abkommen, in Kraft seit 1997, zwingt Asylsuchende im jeweiligen Ankunftsland einen Asylantrag
zu stellen und sich Fingerabdrücke nehmen zu lassen (diese werden im europäischen
automatisierten System EURODAC gespeichert und sind in jedem EU-Staat abruf – und
überprüfbar). Damit soll verhindert werden, dass Asylsuchende in mehreren Staaten gleichzeitig
einen Antrag stellen und somit bessere Chancen auf einen positiven Entscheid hätten. Aus
geographischen Gründen tragen Spanien, Italien und Griechenland die grösste Verantwortung
für Asylanträge und sind prioritäre Ziele für “Rückführungen” von Asylsuchenden. Sind keine
Fingerabdrücke vorhanden, hat die Schweiz mit mehreren Drittstaaten (Nicht-EU-Staaten)
bilaterale Abkommen geschlossen, die “Rückführungen” in diese Länder erleichtern.
Grundsätzlich werden in der Schweiz Asylsuchende aufgrund ihrer Herkunft und der dort
herrschenden Problematik kategorisiert und selektiert. Die verantwortlichen Institutionen der
Asylpolitik, u.a. das BfM, erarbeiten Problem-Analysen der jeweiligen Länder und stufen diese
dann ein; als gefährlich und darum die Asylsuchenden als schutzbedürftig, oder eben als
ungefährlich und deshalb Asylgesuche abzuweisen (in den meisten Fällen gilt zweiteres). Diese
Analysen und Einstufungen stützen sich immer auf nationale, sowie internationale Berichte und
Statistiken von Organisationen und Institutionen, die im “besten” Fall eine Reformierung der
dortigen Ausbeutung und Unterdrückung fordern. Es genügt eine einzige Person, die in einem “ungefährlichen” Land verfolgt wird, um all die tausend Berichte und Einschätzungen über Bord zu schmeissen. Die Folgen dieser Einstufungen sind “Ab- und Wegweisungen”, anders gesagt, die Asylsuchenden erhalten einen negativen Asylentscheid und werden aufgefordert, das Land zu verlassen oder werden ausgeschafft.

Erleichterungen und Verschärfungen im Jahr 2006

Das Ziel dieser Praxis ist eine Selektion der Asylsuchenden: Auf der einen Seite stehen jene, die für die Ökonomie verwertbar sind und deshalb ins “Töpfchen” gelegt werden, während auf der anderen Seite die stehen, die keine wirtschaftlichen Interessen erfüllen und deshalb ins “Kröpfchen” namens Ausschaffungsknast geworfen werden. Erstere, also die sogenannt vorläufig Aufgenommenen erhalten u.a. einen erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt und haben die Möglichkeit, ihre Familie nach drei Jahren nachzuziehen. Zweitere, also die grosse Mehrheit der Asylsuchenden, haben da schlechtere Karten:
Seit der Asylgesetz-Revision 2006 erhalten Asylsuchende durch den Sozialhilfestopp nur noch die gesetzlich verordnete Nothilfe (3.- pro Tag). Die Möglichkeit, Asylanträge auf schweizer Botschaften im Ausland zu stellen, wurde mit einer Ausnahmeregelung weitgehend aufgehoben. Diese besagt, dass “unmittelbar bedrohte” Menschen auf Botschaften ein humanitäres Visum erhalten. Damit hätten sie das Recht, sich während drei Monaten in der Schweiz aufzuhalten und in dieser Zeit ein Asylgesuch zu stellen. Wird auf dieses jedoch nicht eingegangen, stehen diese Menschen wieder am Anfang ihres Elends.
Asylsuchende, die ohne glaubhafte Begründung keine Identitätspapiere abgeben, werden in einem beschleunigten Verfahren (Nichteintretensentscheid) abgewiesen. Wenn Asylsuchende die Schweiz nicht verlassen wollen, obwohl sie nach einem abgewiesenen Asylgesuch dazu verpflichtet wären, stehen den Behörden so genannte Zwangsmassnahmen zur Verfügung. Mit diesen soll die “Wegweisung” durchgesetzt werden. Die maximale Knastdauer zur Sicherstellung der “Wegweisung” (Ausschaffungshaft) wird von neun Monate auf 18 Monate verlängert. Zusätzlich wird eine Haft zur Durchsetzung der gesetzlichen Ausreisepflicht von höchstens 18 Monaten eingeführt. Die Dauer der beiden Massnahmen zusammen beträgt maximal 24 Monate, bei Minderjährigen zwischen 15 und 18 Jahren beträgt sie maximal 12 Monate. Ist eine Person bereit, “freiwillig” auszureisen, kann die Haft jederzeit beendet werden.

Weitere Verschärfungen im Jahr 2013

Im Jahr 2013 erfolgte dann die “dringliche Änderung des Asylgesetzes”, anders gesagt die Verschärfung des im Jahr 2006 verabschiedeten Gesetzes. Neu also haben Asylsuchende, die den Militärdienst in ihrem Heimatstaat verweigern, kein Anrecht mehr auf Asyl. Von dieser Verschärfung ausgenommen sind jedoch Asylsuchende, die man in ihrem Heimatstaat dafür unverhältnismässig schwer bestrafen würde (z.B. Eritrea). Nun stellt sich jedoch die Frage, wie sich diese “unverhältnismässig schwere Bestrafung” für Asylsuchende aus nicht so populären Regimen denn beweisen lässt…
Eine zentrale Neuerung ist die Kompetenz-Erweiterung des Bundes. Er kann in seinem Besitz liegende Anlagen und Bauten (z.B. Militärunterkünfte) künftig für maximal drei Jahre ohne Bewilligung des Kantons oder der Gemeinde als Unterkunft für Asylsuchende nutzen. Dies gilt zusätzlich nur, wenn die Unterkunft dazu nicht stark umgebaut werden muss.
Zu diesem Zeitpunkt wurde der Weg der schweizweit geplanten Bundeslager geebnet. In Zürich ist seit Januar 2014 das erste provisorisch umgesetzte Bundeslager in Betrieb. Diese
Lager kennzeichnen sich durch ihre neuen Schnellverfahren und der Zentralisierung aller nötigen Behörden in einem einzigen Komplex, um den reibungslosen Ablauf zu garantieren. Schweizweit sind sechs Standortkantone mit je mindestens einem Bundeslager mit einer Verfahrensdauer von maximal 140 Tagen und je einem “Ausreisezentrum” mit einer Verfahrensdauer von maximal 100 Tagen geplant. Hinzu kommen schweizweit zwei weitere Bundeslager für Asylsuchende, welche die “öffentliche Sicherheit” oder den “ordentlichen Betrieb” der “normalen” Empfangs- und Verfahrenszentren gefährden. Das BfM oder die kantonalen Behörden errichten und führen diese Zentren.
Der Bundesrat kann zudem neue Verfahren zeitweise testen, bevor er das Gesetz ändert. Diese Tests dürfen höchstens zwei Jahre dauern und sind für die Beurteilung von “aufwendigen Massnahmen” vorgesehen. Während dieser Testphasen kann der Bund zudem die Beschwerdefrist von 30 auf 10 Tage kürzen, wenn die Asylsuchenden einen genügenden Rechtsschutz haben. Dazu stellt der Bund ihnen eine kostenlose Rechtsberatung zur Verfügung.
Bereits vor den dringlichen Änderungen im Jahr 2013 bezeichnete der Bundesrat jene Länder als sicher, in die man Asylsuchende, ihrer Ansicht nach, ungefährdet zurückschieben kann, ohne dass sie verfolgt werden. Neu verkürzen sich die Beschwerdefristen für Asylsuchende aus diesen “sicheren” Ländern. Betroffen davon sind Personen, auf deren Asylgesuche das BfM gar nicht erst eintritt oder die es ohne weitere Abklärungen ablehnt. Gegen diese erstinstanzlichen Urteile können sie nun noch während fünf Tagen Beschwerde einlegen. Anschliessend soll das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls innert fünf Tagen über die Beschwerde entscheiden. Weiter gelten schärfere Bestimmungen, wenn ein Gesuch abgelehnt wird. Um die “Wegweisung” sicherzustellen, können abgelehnte Asylsuchende direkt in den Empfangszentren des Bundes in Haft genommen werden.

Rassismus – auch Politik genannt

Wie der abschliessende Satz der “Kernpunkte der Eidgenössichen Asylpolitik” ganz unverhüllt sagt, ist es dem Staat immer möglich, temporäre Aufenthaltsbewilligungen wieder zu entziehen, wenn sich die migrantische Person nicht an die aufgezwungenen Regeln dieser Gesellschaft hält. Würde dies mit Schweizer_innen geschehen, wäre es hier schon bald ziemlich leer…
Der Rassismus liegt dem Staat mit seiner Politik und seinem Sachzwang zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit, zu Grunde, egal wie humanitär er sich geben mag.
Mario Gattiker, Vorsteher des Bundesamtes für Migration (BfM) und einer der Hauptverantwortlichen der schweizerischen Asylpraxis, sagte kürzlich in einem Interview: « So dramatisch wie die Lage vor den Toren Europas zurzeit ist, war es wohl seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. » Ein Statement, dass durch seine Ehrlichkeit nicht weiter kommentiert werden muss.