Eines frühen Morgens im April 2018 hat unser amateurhaftes Bauteam tausende Heuschrecken im neuen Hauptsitz der Architekturfirma Lemay aus Montreal ausgesetzt. Wir rissen eine Sperrholzplatte auf der Seite des Gebäudes fort und liessen die Heuschrecken in ihre ganz neuen Räumlichkeiten eintreten. Lemay hat zusammen mit der Groupe A aus Quebec einen Auftrag zum Bau eines neuen Internierungslagers für Migrant*innen in Laval, einem Vorort von Montreal, erhalten. Dessen Eröffnung ist für 2020 vorgesehen. Wir stellen uns gegen die Grenzen, gegen die Gefängnisse und gegen die Internierungslager für Migrant*innen. Wir kämpfen für eine Welt, in der alle frei sind, sich zu bewegen und sich niederzulassen; eine Welt frei von weisser Vorherrschaft, Kapitalismus, Kolonialismus und Patriarchat.
Wir sehen diese Aktion als Anfang konzentrierter Bemühungen zur Verhinderung des Baus dieses neuen Internierungslagers für Migrant*innen. Die Heuschrecken sind bekannt für ihre schnelle Fortpflanzung und sind besonders schwierig auszurotten; ihr konstanter Lärm und ihre schnelle Vermehrung in egal welcher Umgebung machen aus ihnen weit mehr als eine einfache Belästigung. Sie werden sich in den Mauern des grüngewaschenen Gebäudes von Lemay in Saint-Henri, ein sich gentrifizierendes Quartier, vermehren, und dies auch nachdem die Mauer, die wir abgenommen haben, ersetzt wurde. In der Zwischenzeit wird sich unser Widerstand gegen dieses Internierungslager für Migrant*innen und gegen alles, was dieses repräsentiert, organisieren.
Dieses neue Internierungslager für Migrant*innen in Laval wurde im Rahmen einer „Anpassung“ des Migrationssystems von der kanadischen Regierung vorgeschlagen. Der grösste Teil dieser Anpassung zielt auf die Infrastrukturen: 122 Millionen der gesprochenen 138 Millionen Dollar werden für den Bau von zwei neuen Internierungslagern (in Laval und in Surrey, in der Provinz Britisch-Koumbien) sowie für die Ausbesserung eines bereits bestehenden Lagers in Toronto aufgewendet. Die „Lager“ (um nicht Gefängnisse zu sagen) würden internationalen Standards nicht entsprechen, so lautet auf jeden Fall die Begründung der Regierung. Es hat etwas ironisches, zu sehen, wie sie in neue Gefängnisse für Migrant*innen investieren und gleichzeitig behaupten, Alternativen zur Internierung finden zu wollen.
Die neuen Einrichtungen werden als „bessere“ Gefängnisse dargestellt. Sie hätten angeblich eine „nicht-institutionelle“ Architektur, Aussenräume und einen erleichterten Zugang für Familien sowie für Vertreter*innen von NGOs, priorisieren aber dennoch die „öffentliche Sicherheit“ durch die Inhaftierung. Die für den Bau des Lagers in Laval beauftragten Firmen sind bekannt für ihre Planung von „LEED“ ausgezeichneten Gerichtsgebäuden und Gefängnissen (And.d.Ü.: Leadership in Energy and Environmental Design – ein vom United States Green Building Council ausgeklügeltes Bewertungssystem) sowie von Universitätsbibliotheken und -räumen. Es fällt schwer, sich dieses neue Gefängnis als „nicht-institutionell“ vorzustellen. Der Versuch der Trudeau-Regierung gleicht demjenigen der Bundesregierung im Strafvollzugssystem für Frauen in den 90er Jahren und dem aktuellen Versuch der Landesregierung von Ontario, sein Strafvollzugssystem zu lockern. Die Reformen in den Internierungslagern zielen darauf ab, die Gebäude, die man nicht verlassen darf, auszuschmücken, um zu behaupten, dass es akzeptabel sei, darin Menschen einzusperren.
Das neue Gefängnis in Laval scheint eine ähnliche oder leicht höhere Kapazität als das bisherige zu haben (109 bis 144 Plätze, das neue wird 121 Personen einsperren können). Während in den letzten Jahren die Zahl der inhaftierten Migrant*innen zurückging und die Regierung vorgibt, damit weiter reduzieren zu wollen, lässt dieses Projekt glauben, dass es sich dabei nur um Lügen handelt. Erstaunlich. Wie es schonmal gesagt wurde: „Baut sie und sie werden sich füllen“. Dass dieses Lager zu einer Reduktion der inhaftieren Menschen beiträgt, ist sehr unwahrscheinlich.
Schauen wir uns das genauer an. Als Akteur der „Anpassung“ des Migrationssystems hat der Minister für öffentliche Sicherheit, Ralph Goodale, die Absicht der Regierung angemolden, „Alternativen zur Inhaftierung“ zu untersuchen. In dem von ihm geschriebenen Bericht über die Reform schreibt die Regierung, dass Alternativen zur Inhaftierung folgendes beinhalten würden: „Die Möglichkeit, sich mittels Spracherkennungssoftware übers Telefon zu identifizieren, um sich nicht mehr persönlich bei der Grenzschutzbehörde melden zu müssen, erhöhte Bewegungsfreiheit, die Erleichterung der Erfüllungskriterien und Leistungsoptimierung“. Sprich die Arbeit der Grenzbullen erleichtern und Geld sparen.
Die bekanntesten Alternativen zur Inhaftierung von Migrant*innen beinhalten Übergangswohnungen, das Tragen von elektronischen Fussfesseln oder ein System ähnlich der Bewährung, das von NGOs betrieben wird, die bereit sind, als Knastwärter*innen zu handeln. Diese Optionen sind der Einsperrung gewissermassen vorzuziehen. Auf der anderen Seite stellen sie die disziplinierende Karotte dar, während das Gefängnis der drohende Schlagstock ist. In jedem Falle fungieren sie als Legitimierung der Inhaftierung („Wir können zwar ihren Status nicht regularisieren und werden sie also abschieben, doch haben wir ihnen die Möglichkeit gegeben, die Spracherkennungssoftware zu nutzen. Doch sie sind untergetaucht. Wir müssen sie also einsperren“). Die Alternativen zur Inhaftierung sind verfeinerte Formen der Kontrolle von Migrant*innen, die es dem Staat ermöglicht, wohltätig zu erscheinen, während er gleichzeitig diejenigen, die sich diesem Kontrollsystem nicht fügen, abschiebt und einsperrt.
Die Strategie dieser Alternativen wird die Zusammenarbeit zwischen den NGOs und der Regierung zur Inhaftierung von Migrant*innen verstärken, als Gegenleistung werden die Löhne der Angestellten bezahlt. 2017 hat die Regierung einen neuen Vertrag mit dem Roten Kreuz unterzeichnet, um die Bedingungen in den Lagern zu überprüfen. Das Rote Kreuz ist tatsächlich seit 1999 für die Beaufsichtigung der Lagerbedingungen verantworltlich. Heute erhalten sich einfach zum ersten Mal die „Grundfinanzierung“ von der Regierung. Mit 1,14 Millionen Dollar für zwei Jahre wird das Rote Kreuz weiterhin die Lager „beaufsichtigen“ und der Regierung mitteilen, dass alles gut läuft, womit sie die Fortführung der Einsperrung von Migrant*innen legitimiert. Ist das nicht wunderbar, wenn die NGOs die Repression der Regierung gut aussehen lässt?
Was bringen diese Anpassungen also schlussendlich? Mehr Geld für die repressiven Gefängnisse, ein bisschen Geld für etwas weniger gewalttätige Formen der Bewegungskontrolle und ein wenig Geld für das Rote Kreuz. Im Kontext der Migrantionsbewegungen an der amerikansichen Grenze, um vor dem Trump-Regime zu flüchten, ein Kontext, in dem die meisten Menschen niemals einen Flüchtlingsstatus erhalten und wahrscheinlich in einen Internierungslager enden werden, möchten wir den Bau dieses neuen Lagers verhindern. Für uns ist es der angemessene Zeitpunkt, sogar der einzige Zeitpunkt, zur Intervention, um den Lauf der Dinge aufzuhalten. Wir werden uns gegen dieses neue Gefängnis einsetzen ohne zu vergessen, dass wir auch das alte schliessen wollen. Wir verstehen die Verhinderung dieses Bauprojekts als Teil eines viel grösseren Kampfes, um die bereits bestehenden Gefängnisse zu zerstören.
Neben dem wir diesen Kampf im Kontext einer globalen „Migrationskrise“ verstehen, schreibt sich dieser auch in den Kontext der aufsteigenden extremen Rechten ein. Storm Alliance, eine rassistische und migrationsfeindliche rechtsextreme Gruppe, hat ein paar Demonstrationen an der Grenze organisiert, bei denen auch La Meute, eine rechtspopulistische Gruppe aus Quebec, häufig anzutreffen war. Beeinflusst von der migrationsfeindlichen und extremrechten Rhetorik im Internet, hat Alexander Bissonnette vor eineinhalb Jahren auf sechs Menschen in einer Moschee in Quebec geschossen und diese getötet. TVA (A.d.Ü.: ein Fersehsender) und der Journal de Montréal haben ebenfalls falsche, islamophobe Informationen veröffenticht, um diese Gefühle zu verbreiten.
Mit all dem im Kopf verstehen wir, dass der Kampf gegen den Bau dieses neuen Internierungslagers ein antifaschistischer Kampf ist, der selbst ein Kampf gegen die weisse Vorherrschaft ist. Wir möchten unsere Aktionen mit denen von anderen Personen in unseren Gemeinschaften verbinden, die ebenfalls gegen die weisse Vorherrschaft und den Aufstieg der extremen Rechten kämpfen. Auch wenn wir den Liberalismus und seine aktuelle Regierung in Canada bekämpfen, so bekämpfen wir auch die extreme Rechte und ihre Visionen einer noch gewalttätigereren Zukunft.
Wir sind inspiriert von den jüngsten Aktionen, um die Abschiebung von Lucy Granados zu verhindern. Wir sind inspiriert vom alltäglichen Mut der Menschen ohne Status und von denjenigen, die sich organisieren und zusammenkommen, um unsere Gemeinschaften zu verteidigen. Wir sind inspiriert von all den Menschen, die sich gegen Grenzen, Gefängnisse und die anderen Formen der Beherrschung auflehnen. Wir sind inspiriert, für ihre Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit zu kämpfen und rufen euch dazu auf, mit uns zu kämpfen.
Lemay ist nicht das einzige Unternehmen, das in der Planung und im Bau dieses Gefängnisses involviert ist und somit auch nicht der einzig mögliche Druckpunkt. Von den architektonischen Plänen Lemays zu den Beiträgen der Groupe A zum Baumaterial und den Bauunternehmen; verschiedenste Teile sind erforderlich, um ein Gefängnis zu bauen. Dies ist ein Aufruf zur Recherche, zu Diskussionen und Aktionen spezifisch gegen Lemay aber auch gegen alle anderen Firmen und Gruppen, die an diesem Projekt beteiligt sind. Wir hoffen, weitere Anti-Konstruktions-Banden zu sehen, die in der Zukunft zur Tat schreiten und hoffen, dass dieses Projekt zum Ziel einer intensiven und anhaltenden Kampagne wird, fähig, mehrere Personen und Gruppen zusammenzubringen. In Richtung einer Zukunft ohne Knäste und Grenzen.
Wir hoffen, dass sich der Widerstand gegen dieses Gefängnis ausbreitet, schneller und weiter als diese tausenden Heuschrecken.