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Calais: Besetzung und Räumung

übersetzt von calais migrant solidarity

calais occupation

 

 

 

 

 

 

Eine Gruppe von Menschen aus verschiedenen Ländern und unterschiedlichen politischen Hintergründen hat am 27. März 2016 ein leeres Gebäude, das früher als Obdachlosenunterkunft genutzt wurde, besetzt. Nach ein paar wenigen Stunden wurde der Squat bereits wieder geräumt. 8 Menschen wurden verhaftet.

Neue Besetzung in Calais!

Die Regierung und die Präfektur von Calais haben über Jahre Wohnplätze zerstört. Menschen in Calais wurden über Jahre von der Polizei und von Faschisten angegriffen und ihr Hab und Gut wurde zerstört. Über Jahre waren Menschen gezwungen in Angst und Unsicherheit zu leben, weil sie Ausländer sind.

Der Jungle ist ein Ghetto, das nach der Räumung von Squats und anderen Jungles von der Regierung geschaffen wurde. Menschen leben da auf eine autonome Weise zusammen, in Diversität und Gemeinschaft, manchmal in schmutzigen Konditionen, wo Gewalt und Rassismus immer präsent ist. Es wäre einfach die Rhetorik des Mitleids und der Viktimisierung zu gebrauchen, die einige Verbände bevorzugen, ebenso einfach wäre es, den Jungle als dysfunktional zu verurteilen. Mit allen Vor- und Nachteilen ist der Jungle ein Ort, an dem Menschen leben können und für den sie nun kämpfen müssen. Auch wenn der Jungle prekär ist, so ist er doch eine Zuflucht für viele. Es ist ein symbolischer Kampf, damit alle als „unerwünscht“ bezeichneten Menschen nicht einfach als Problem behandelt werden, das es in Kontainern zu verstecken und zu verwalten gilt.

Heute, nach der Räumung des südlichen Teils, haben einige den Jungle verlassen, einige leben in den Strassen und viele wurden in den immer kleiner werdenden nördlichen Teil gezwungen. Gleichzeitig bleiben in Calais viele Häuser unbewohnt, leer. Für uns ist die Legitimität, diese Häuser zu besetzen, selbstverständlich. Wir haben uns für einen Ort mit einem starken symbolischen Wert entschieden: Eine alte Zuflucht für obdachlose Menschen. Wir haben uns also entschieden, dieses Haus zu besetzen und uns der Räumung solange wie möglich zu widesetzen. (…)

Immer mehr Polizisten sind hier, um die Segregation in Calais beizubehalten, und die Faschisten attackieren und bedrohen Menschen, die in die Stadt zurück wollen. Wir können die Regierung nicht Gesetze der Rassentrennung einführen lassen, ohne dagegen zu kämpfen. Wir können es nicht zulassen, dass die Idee des „zéro-squat“ sich im Rest von Frankreich und im Rest der Welt verbreitet.

Wie der Kampf in der ZAD von Notre Dames des Landes nicht auf einen Kampf gegen einen Flughafen reduziert werden kann, sondern als ein Kampf für Autonomie, Zugang zu Land und gegen unser patriarchales Erbe und das kapitalistische System begriffen werden muss, so ist auch der Kampf für Bewegungsfreiheit in Calais Teil eines breiteren Kampfes. Dieser Kampf muss sich gegen den Imperialismus und Rassismus von Europa richten, und den Krieg, den Europa gegen die Armen und Ausländer führt; gegen seine Grenzen, seine Wachhunde und seine Regierungen; für Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit.

(…)

Wenn wir uns auf andere Kämpfe beziehen so auch, um Gemeinsamkeiten unserer Positionen festzustellen: Einen physischen und symbolischen Raum zu besetzen ist auch ein Kampf gegen die Herrschaft und Ausbeutung des Staates. Mit der Umsetzung des Ausnahmezustandes sind immer mehr Menschen der immer repressiveren Politik ausgesetzt, die jeglichen Versuch, sich zu organisieren, kriminalisiert. Deshalb ist es wichtig unsere Solidarität zu verstärken.

Wir rufen hiermit also dazu auf, jetzt und in den nächsten Tagen Aktionen zu organisieren, um unsere Initiative zu unterstützen und die Information zu verbreiten.

Das Kollektiv „Salut ô toit““

Zürich: 1. Ausgabe von enough! – Refugees Newspaper

per mail

Enough Number 1

Für PDF auf Bild klicken

Einleitung
Im Namen des Redaktionsteams von enough!: begrüssen wir euch. Die Zeitung beleuchtet Angelegenheiten von Flüchtlingen und Immigranten in der Schweiz. Es ist eine offene Plattform für Menschen ungeachtet ihrer Ethnie, Herrkunft oder ihrem sozialem Hintergrund. Zum Anfang möchten wir erklären, dass jeder Mensch ein Recht auf ein würdevolles Leben in Freiheit und an einem Ort nach seiner Wahl ohne irgendwelche Einschränkungen hat. Enough! bietet eine Möglichkeit, Geschichten des Ungehorsams, von Kämpfen und vom Widerstand von Flüchtlingen zu teilen. Unsere Absicht ist es, ein verbreitetes Bewusstsein von diesen Erfahrungen zu schaffen. Wir laden also alle ein, diese Zeitung durch ihre eigenen Erfahrungen zu bereichern. Wir werden daran arbeiten, Informationen zu verbreiten und verschiedene soziale Initiativen zu unterstützen, die Individuen ermächtigen, Freiheit und Würde zu erlangen.

Wir haben genug von der Polizei, der Bunkers und Camps, von den Behörden und ihrer Politik. Wir haben es wirklich satt!

Basel/Freiburg: No Border Action Days 01. – 03. April 2016

gefunden auf linksunten

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Wir haben kein Bock mehr auf die europäische Grenzscheisze! Menschen stranden an den Binnen/Auszengrenzen „Europas“, hängen in katastrophalen Sackgassen fest. Leute sterben auf dem Weg nach z.B. Deutschland, der Schengenraum riegelt sich ab, um den falschen inneren „Frieden“ zu wahren. DEN WERDEN WIR STÖREN! Kommt nach Freibrug und Basel vom 1.-3. April!

Heraus zu den No Border Action Days am ersten Aprilwochenende.

Hunderttausende Menschen stranden vor den Grenzen entlang der Balkanroute, der Jungle in Calais wird brutal geräumt, Zehntausende sterben im Mittelmeer und verschwinden in Abschiebeknästen – und die EU will schnellstmöglich die Freiheit im Inneren des Schengenraumes wieder herstellen, um endlich wieder entspannt Profit und Urlaub machen zu können? Am Arsch!

Wir* sind es leid, traurig und wütend dabei zuzuschauen, wie sich die Festung Europa immer weiter abschottet. Praktische Solidarität ist wichtig, humanitäre Unterstützung notwendig. Aber wir werden nicht die ganze Zeit Feuerwehr spielen, den Staaten unentgeltlich Grundversorgungsaufgaben abnehmen, und daran teilhaben, wie sich Europa im rassistischen Normalzustand einigelt. Unsere Verantwortung ist es vor allem, hier zu stören, wo es weh tut.

Wenn sie aus wirtschaftlichen Gründen die Grenzen des Schengenraums für Menschen auf der Flucht schlieszen, um ihre verblendete ‚Heile Welt‘ weiter abzuschotten – dann machen wir den Schengenraum unsicher!

Wir haben Ziele, keine Forderungen. Wir möchten die sogenannten „Entscheidungsträger*innen“ innerhalb und auszerhalb der EU/Europas nicht als solche legitimieren. Wir wollen offene Grenzen für alle. Unser Protest ist selbstorganisiert, die Welt, die wir bauen, ist es auch. Keine einzelne noch so krasse Initiative wird ein selbstbestimmtes Leben aller herstellen, aber die Summe entschlossener Aktionen hält diese Möglichkeit am Leben.

Until everybody’s free, no-one will be free!

In Freiburg und Basel gibt es am Freitag Raum für gemeinsame konkrete Vorbereitungen, weniger zum Vernetzen und Analysieren. Für Möglichkeiten der gemeinsamen Anreise zu den Aktionsorten und für Pennplätze wird gesorgt. Wir lassen uns gegenseitig mit wirtschaftlichen und emotionalen Folgen von Repression nicht alleine. Bleibt also gerne noch am Sonntag, damit wir uns aktiv solidarisch umeinander kümmern und emotional supporten können (siehe “ Ⓒ Out-of-Action“ – Konzepte).

Die genauen Aktionen werden wir erst vor Ort miteinander bequatschen.

Vor allem die wahrscheinlichen und möglichen Formen von Repression werden wir durchsprechen. Bereitet euch darauf vor, an diesem Wochenende entschlossen zu agieren. Wenn ihr eigene dezentrale Aktionen starten wollt, ist das selbstredend willkommen. Gleichzeitig gilt: Je mehr Menschen wir bei Groszaktionen sind, desto weniger kriegen Einzelpersonen auf die Fresse.

* Das ominöse „wir“ ist hier ein loser Zusammenschluss politischer Aktivist*innen mit verhältnismäsziger Straffreiheit durch zufällige Privilegien.


Weitere Informationen findet ihr auf dem Blog: noborderaction.blogsport.eu
und über Kontakt: noborder[punkt]action[at]riseup[punkt]net

Zürich: Ausschaffung verhindert

gefunden in der Dissonanz Nr. 23 – Anarchistische Strassenzeitung

https://de-contrainfo.espiv.net/files/2016/03/children__s_ward_i_by_illpadrino.jpg

Für den Montag, den 14. März, ordnete das Staatssekretariat für Migration (SEM) die Ausschaffung einer tschetschenischen Frau mit ihrem elf-jährigen Sohn an. Die Frau, die bereits miterleben musste, wie der Schweizer Staat kürzlich ihre drei volljährigen Töchter mit viel Gewalt nach Moskau deportierte, und nun dort, vom tschetschenischen Geheimdienst gesucht, an Leib und Leben bedroht sind, wurde bis an jenem besagten Montag in Embrach (Kanton Zürich) in einer psychiatrischen Klinik festgehalten.
Ihr Sohn wurde in Meilen (Kanton Zürich) ebenfalls in einer psychiatrischen Klinik für traumatisierte Kinder (sic!) wie ein Häftling festgehalten, um sicher zu gehen, dass er bis zu seiner Ausschaffung auch nicht entwischen könne.

Doch der Plan des SEM, das wegen rechtlichen Fristen diese beiden Menschen um jeden Preis am besagten Datum loswerden wollte, ging nicht auf. Da die verantwortliche Ärztin der Klinik die betroffene Frau schon vor Montagmorgen für „flugtauglich“ befand und sie um 9 Uhr abholen lassen wollte (die Frau drohte schon lange, sich bei einer Ausschaffung umzubringen, und ist daher schon seit langer Zeit unter ständige Aufsicht gestellt worden), standen beim Sohn die zivilen Gewalttäter des Staates schon um 8.30 Uhr auf der Matte. Kurze Zeit später bevölkerten etwa 60 solidarische Menschen mit Transparenten das Areal um diese tristen, am Hang stehenden Klinikgebäude in Meilen. Die einzige Zufahrtsstrasse wurde verbarrikadiert und beim Eingang traf die Schwester der Mutter auf ihren Neffen, der ihr gleich in die Arme fiel, wonach die beiden sich nicht mehr losliessen.

Die Bullen, sowie auch das Personal, hielten sich relativ im Hintergrund, „da es ja traumatisierte Kinder in den Gebäude hätte und man diese nicht erschrecken möchte“, war eine der vielen humanitären Begründungen der Bullen und Verantwortlichen der Klinik. Ja, eine leise, anonyme Ausschaffung wäre diesen widerlichen Therapeuten, „die nur ihren Job machen“, wohl lieber gewesen. „Dann wird es halt ein Sonderflug, ist ja auch nicht besser für ein Kind“, ist nur eines von vielen Statements der Klinik-Mitarbeiter, das deren abscheuliche, kollaborierende Ideologie aufzeigt. Während auch vor der Klinik in Embrach solidarische Menschen gegen die Ausschaffung dieser Beiden protestierte und sogar den Empfangsbereich „besetzten“, verflog die Zeit und die Mittagsflüge nach Moskau wurden dür die Deportateure immer unerreichbarer. Weiters wurde auf die verantwortliche Ärztin telefonisch solange Druck ausgeübt, bis diese sich, angesichts der sich zuspitzenden Situation bei den Kliniken, dazu entschloss, die Frau neu zu beurteilen – und siehe da; nicht flugtauglich! Die Ausschaffung wurde abgeblasen – natürlich unter medizinischem Vorwand.

Was nun folgt, ist ein nationales Verfahren, wobei alles bürokratisch nochmals aufgerollt und neu beurteilt werden muss, was in diesem Fall mehrere Monate bis Jahre dauern könnte. Ohne Widerstand hätte also der Schweizer Staat zusammen mit der verantwortlichen Ärztin (Ärzte haben immer die Möglichkeit, eine Person für fluguntauglich zu erklären) zwei Menschen ohne mit der Wimper zu zucken ausgeschafft, bei denen es ganz offensichtlich ist, dass ihnen in ihrem Herkunftsland Folter, Gefängnis und noch Schlimmeres droht.

Auch für die feigen zivilen Bullen-Deportateure, die sich die ganze Zeit über in der meilener Klinik versteckt hielten, ging der Montag vorüber. Als die Gruppe von 60 Leuten sich langsam wieder Richtung Bahnhof bewegte, wollten auch sie endlich Feierabend machen. Auf die erleichterte Ansage eines Bullen, dass sie jetzt auch gehen können, entgegnete ein Kollege: „Nein, wir können nicht gehen, unsere Reifen sind zerstochen und die Frontscheibe ist zugeprayt“.

In Calais führt der Staat und seine Diener einen erbitterten Krieg gegen die Migranten

übersetzt von Séditions Nr. 6

melilla_0_0In der Hoffnung auf ein besseres Leben schwärmen Migranten von allen Richtungen in Massen nach England. Doch die Staaten stellen immer mehr Stacheldrahte und Schranken auf, um sie daran zu hindern und um sie immer weiter zurückzudrängen. Gerade hat die Herrschaft ein Maxi-Camp aus Containern (mit einem biometrischen Erkennungssystem) in Calais eröffnet, was ihr erlaubt, zusätzlich 1500 Migranten einzusperren.

Die Kollaborateure dieses neuen Lagers, die sich die 18 Millionen des Kuchens aufteilen, sind zahlreich: Der Verein „La Vie Active“ (4, Rue Beffara – 62 000 Arras), Verwalter des Lagers; „Logistic Solution“ (Launay des Moulins / 35390 Grand-Fougeray), liefern die Container; „Groupe CW“ (Clôtures Michel Willoquaux, 7/21 Route Nationale – 59152, Tressin), zäunen das Camp ein; „ATMG“ (Rue Roger Salengro / Route De Oignies Espace Tertiaire Bata / 62710 Courrières); „Biro Sécurité“ (251 Avenue Antoine de Saint-Exupéry, 62100 Calais), stellen das biometrische Dispositiv des Camps, überwachen das Auffanglager Jules-Ferry und die Umgebung seit März 2015 (30 Sicherheitsbeamte und Hundeführer aufgestellt); SOGEA, Tochtergesellschaft von VINCI, verantwortlich für das Betonnieren des Gebiets.

Einige führten in der Nacht vom Samstag, 16. Januar einen Angriff auf diese Baustelle aus.Zwei Maschinen des Unternehmens „SOGEA“ gingen in Flammen auf während Tags gegen Grenzen, „Das ist ein Gefängnis“ und andere gegen die brittische Regierung ein paar Container schmückten.

Der Bau dieses Lagers bezweckt, die Sans-Papiers an einen festen Ort zusammenzubringen. Jeden Tag versuchen die Migranten, sich von den Grenzen mit allen Mitteln zu befreien, indem sie die Umfahrungen und Strassen in Richtung Ärmelkanal stürmen. Ihre Versuche werden regelmässig vom energischen Einsatz der Bullen vereitelt. Als Antwort blockieren die Migranten die Strassen, greifen die Grenzbeamten an und behindern den Warenfluss zwischen Frankreich und England. Die Präsenz von armen Immigranten in den Strassen von Calais ist, speziell für diese kleine, bourgeoise Welt, der sich so viele Bürger unterstellen, kein verkaufsfördernder und anziehender Faktor für Touristen, Investoren und andere Privatiers. Folglich sind sie empört und gehen auf die Strasse, wie am 24. Januar, als Bullengewerkschaften, Industrielle und Syndikalisten der CGT Seite an Seite zum Hafen von Calais marschierten, um die Ordnung wiederherzustellen und die Wirtschaft wieder zu beleben. Dies am Tag nach einer „No Border“-Demo, bei der Migranten und Unterstützer sich Zutritt zu einer Fähre nach England verschafften und diese für mehrere Stunden blockierten. Gleichzeitig erhalten die Bullen Unterstützung bei ihrer dreckigen Arbeit von faschistischen und rassistischen Milizen (wie die Kollektive „Calaisiens en colère“ und „Sauvons Calais), die auf die Migranten einprügeln und der Polizei bei ihrer Menschenjagd präzise Auskünfte liefern.

Faschisten, Geschäftsmänner und Bürger befinden sich faktisch auf der gleichen Seite der Barrikade, auch wenn ihre Interessen und Mittel voneinader abweichen. Es liegt an uns, unsere Aktionen und Revolten gegen die unzähligen Verantwortlichen dieses gegen Migranten geführten Kriegs auszuweiten!

Sabotieren wir die Grenzen!

 

Kriegszeit

gefunden in Avalanche Nr. 6 – anarchistische Korrespondenz
erschienen in Subversions Nr. 5 – Revue anarchiste de critique sociale

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Die Kriege vorantreibend (die militärischen Interventionen in Zentralafrika, Mali und Syrien gehen weiter), ergriff die sozialistische Regierung Frankreichs die Gelegenheit der Angriffe gegen Charlie Hebdo und die Supermärkte im Januar 2015, um klarzustellen, dass Frankreich sich „im Krieg“ befände. Dieses Update des Krieges gegen die inneren Feinde in Wort und Tat, hat juristische wie repressive Konsequenzen, wie zum Beispiel das neue Geheimdienstgesetz, dass das Terrorgesetz nur wenige Monate nach seiner letzten Verschärfung abermals ausbaut. Zum „Vigie-Pirate“-Plan kommt nun die Operation „Sentinelle“, die den Köpfen und öffentlichen Orten mit ausschweifender Militarisierung einen kräftigen Khaki-Stich verpasst. Die sichtbare, langfristige Präsenz von bewaffneten Soldaten betrifft nicht länger nur den öffentlichen Nahverkehr, sondern auch jede Straßenecke. Mission und Propaganda gehen Hand in Hand.

Im Kontext dieses Programms zum „Schutze des nationalen Territoriums“ hat die Frage der Grenzen ganz besonderes Gewicht. Der Staat muss Maßnahmen ergreifen, um einige daran zu hindern, das Land zu verlassen (um zum Beispiel in Syrien zu kämpfen)  – andererseits ist ganz Europa sehr beschäftigt, der an die Grenzen drängenden Ströme von Migrant_innen Herr zu werden. Der süße Traum von durch die Mächtigen kontrollierter Migration (denken wir nur an den Exodus ehemaliger Ackerbauern in Richtung der Industrie-Städte, den Import von Arbeitskräften in die Kolonien und den neuerdings beliebten Euphemismus „selbstgewählter“ Migration…) wurde von den Bewegungen Hunderttausender nieder gerannt. Diese Wanderungen wurden offensichtlich vom Vortrieb der kapitalistischen Dampfwalze verursacht (Zerstörung von Lebensräumen, Kriege…), sind aber zunehmend unkontrolliert und entsprechend problematisch. Mehr oder weniger freiwillig Exilierte durchbrechen die Grenzen, greifen häufig die Beschützer dieser an und sähen eine ganze Menge Unordnung im europäischen Grenzsystem. Nun tun die europäischen Staaten alles, um die Dinge wieder unter Kontrolle zu kriegen, wie gewohnt durch das Errichten von Stacheldrahtbarrieren, zwischen Ungarn und Serbien, dann Kroatien, und mittlerweile auch zwischen zwei Schengen-Längern: Slowenien und Österreich. Die Rüstungs-Darlehen und Truppenverstärkungen in Slowenien und der Einsatz der Armee in Österreich zeigen einmal mehr, wie sehr Grenzen auch militärische Domäne sind.

Wenn die Migrant_innen ihre Routen ändern, abhängig von immer neuen Hindernissen, modifizieren auch die Staaten ihr Grenzschutzarsenal. Die Drecksarbeit an andere weiterzugeben ist europäische Gewohnheit, also gibt es Verhandlungen mit Ländern, die als sogenannte Pufferzonen fungieren könnten – die Vereinbarung mit der Türkei beinhaltet 6 „Registrierungs-Zentren“ und einen Ausbau der Kapazitäten der Küstenwache. Der „humanitäre Korridor“, den die Herrschenden vorgeben über den Balkan errichtet zu haben wird wahrscheinlich wieder geschlossen, Frontex sendet seine Truppen an die griechisch-mazedonische wie die griechisch-albanische Grenze und seit Oktober läuft die EU-Operation „Sofia“ mit 9 Kriegsschiffen, Helikoptern und Jets, um Schlepper aufzuspüren und nach Italien zu bringen. Dem spanischen Modell von Ceuta und Melilla, wo die Guardia Civil bereits scharf schießt, scheinen goldene Tage bevorzustehen, auch wenn selbst dort nicht alle Grenzübertritte verhindert werden können.

Bisher scheint es fast so, als würde die sogenannte „Flüchtlingskrise“ – keine Bezeichnung käme gelegener, um die rücksichtslose und strukturelle Normalität dieses Systems als bloße Funktionsstörung zu präsentieren und gleichzeitig noch die Humanitäts-Karte zu spielen – die europäischen Staaten tatsächlich überfordern. Auch wenn sie offensichtlich nicht die Ursachen bekämpfen wollen, die sie selbst erschaffen haben, müssen sie nun dennoch mit den Konsequenzen umgehen. Der Deal, den die Herrschenden vorschlagen, ist so offensichtlich, wie widerwärtig: Das Willkommenheißen der „guten Flüchtlinge“, der „wahren Opfer“ geht Hand in Hand mit dem „Entfernen“ derer, die nicht in diese Kriterien passen – in anderen Worten, die gewaltsame Deportation derer, die nicht den Asylkriterien entsprechen, so schnell wie möglich. Diese Kriterien sind sehr flexibel, und die Gesetzgeber arbeiten hart daran, sie zu verschärfen. Beispielsweise wird die Liste der sogenannten „sicheren Herkunftsländer“ ständig erweitert, in welche Asylsuchende dann schneller abgeschoben werden können. Da die Zahl der Abgewiesenen in die Hunderttausenden steigen wird, arbeiten die europäischen Staaten und Frontex an Plänen für kollektive Deportationen. Ausserdem droht die EU Ländern, die nicht bereit sind, Wirtschaftsflüchtlinge wieder aufzunehmen, mit ökonomischen Sanktionen und dem Einstellen von humanitären Hilfsprogrammen.

Gigantische Selektionsoperationen werden notwendig sein um festzustellen, wer „berechtigt“ ist, den Status des Flüchtlings zu haben (momentan vor allem bei Menschen aus Syrien, Eritrea und Irak) und sicherzugehen, dass andere nicht weiterhin die Verwaltungen verstopfen. Glücklicherweise sind die „Hotspots“ für diese Selektion in den Ankunftsländern (5 in Italien und 3 in Griechenland) noch nicht fertig, sodass viele Migrant_innen sich entscheiden, vor ihrer Registrierung in der Natur zu verschwinden (andernfalls würden sie nach Möglichkeit Identifiziert, müssten Fingerabdrücke abgeben und zwangsläufig Asylanträge im Ankunftsland stellen, mit direktem Transfer in ein Abschiebezentrum, sollten sie nicht „asylberechtigt“ sein).

Eine der Fragen, die sich der französische Staat gerade stellt ist also, wie ein „willkommenheißen“, d.h. identifizieren, registrieren, selektieren, unterbringen derer aussehen könnte, die es trotz der Polizeiblockaden wie in Ventimilla auf französisches Territorium geschafft haben. Der nächste Schritt wird sein, diejenigen einzusperren, die keine Bleibeerlaubnis erhalten haben, wie es jetzt schon hunderten passiert, die nicht das richtige Stück Papier in ihren Händen halten. Hierfür rationalisiert der Staat die existierenden Unterkünfte mit harter Hand, z.B. durch Ausstattung mit „Instrumenten, die die Identifikation des Herkunftslandes zum Zwecke der Beschleunigung der Rückreise bei negativen Asylbescheid ermöglichen“… solange die Eingesperrten nicht revoltieren, versteht sich.

In diesen Zeiten von relativer und mit Sicherheit nur temporärer Desorganisation scheint das Behindern dieser Selektionsoperationen und ihrer widerlichen Konsequenzen ein lohnenswerter Einsatz. Der Staat spielt mit dem permanenten Ausnahmezustand und appelliert an die nationale Einheit, auf dass die zerstörerische Maschine weiter normal funktioniere – es ist deswegen notwendig, Wege zu finden, diese Maschinerie zu sabotieren.

Wenn wir nicht das Funktionieren dieses Systems verbessern wollen, sondern im Gegenteil die existierende soziale Ordnung stürzen wollen, scheint es uns essentiell, das Streben nach Freiheit für alle gegen die ekelerregenden Parameter der Verwaltung, die die Macht in der „Flüchtlingskrise“ etabliert, zu stellen. Wir müssen uns Möglichkeiten der Intervention überlegen die es möglich machen, direkt und konkret gegen den Krieg, der gegen alle Unerwünschten geführt wird vorzugehen, gemeinsam im Kampf gegen Grenzen, Kontrolle und Einsperrung.

Grenzen

Seit dem Moment, dass die neue Welle der Immigration Frankreich erreichte, hat der Staat den Ton angegeben: Abläufe von Asylgesuchen – und deren mögliche Ablehnung – müssen beschleunigt werden, um administrative Grauzonen zu vermeiden, dank derer Ausländer_innen dann länger auf französischem Territorium verweilen könnten. Die Zeit zwischen den verschiedenen Phasen dieser kafkaesken Reise zu verkürzen steht ganz oben auf der Agenda und die Offiziellen der OFPRA (Institution zur Datenverarbeitung) sind angewiesen, die Neuankömmlinge so schnell wie möglich durch ihre Schleusen zu drängen. Somit sahen wir, wie diese besonders zudringlichen Bürokraten die Sicherheit und Ruhe ihrer Büros verließen und zu den Flüchtlingscamps eilten, Aktenordner auf den Schultern, um Informationen zu sammeln und die erste Auswahl treffen zu können – der Rest der Prozedur findet dann wieder am Schreibtisch statt. Personal der OFII, eine weitere Organisation, die sich mit dem „Willkommenheißen“ der Asylsuchenden befasst und eng mit dem „Amt für den Kampf gegen irreguläre Immigration“ zusammenarbeitet, ist ihrerseits verantwortlich für die schwierige Aufgabe, Anreize zu schaffen, mit irgendeinem Kandidaten zurückzukehren, der als „nicht in Frage kommend“ (für Asyl…) gelten kann, sowie, im Falle von Residenzpflicht, dem Transport zu diesem Ort.

Das institutionelle Netzwerk, das für den dreckigen Job der Identifizierung und Dokumentation verantwortlich ist, wird nach und nach von den Organisationen abgelöst, die die Unterbringung der zur Verwaltenden realisieren, beispielsweise der „Association Emmaüs“, „Aurore“ oder der Gruppe „SOS“. Dennoch unterliegt diese Art der Unterbringung natürlich der Kontrolle der administrativen Prozesse-und OFPRA und die Präfektur haben Zugang zu den Listen der Untergebrachten, mit ihrer Nationalität und Situation. Die Unterbringung von Asylsuchenden ist ein millionenschweres Business für die Firmen, die vom Staat bezahlt werden. Die erfolgreichsten auf diesem blühenden Markt sind Adoma und Aftam (die jetzt Coallia heißen), danach kommen „Forum Réfugiés“ and „France Terre d’Asile“. Der französische Staat hat jahrelang den Bau von Verwahrzentren bevorzugt, sucht sich jetzt aber immer mehr Vertragspartner, die sogenannte „CADA“ (Zentren für Asylsuchende), insbesondere „CPH“, temporäre Heime, unterhalten.

Unter dem Deckmantel der Humanität bedeutet die Verwaltung von Asylsuchenden durch diese Institutionen doch in erster Linie die Kontrolle ihrer Existenz: die Pflicht, einem Ort zu sein, den du dir nicht ausgesucht hast, Integrationsstunden im Tausch gegen ein bisschen Geld – wann führen sie die Essensmarken, mit denen man nur in bestimmten Märkten einkaufen kann, ein? Die gefängnisartigen Verhältnisse (interne Regeln, keine Besuche, Nachtruhe, Überwachung durch Sozialarbeiter…) in den temporären Heimen, die normalerweise für  Obdachlose existieren, hatten bereits die Rebellion oder den (illegalen) Auszug vieler Migrant_innen zur Folge.

Die Frage des „wilden Umherstreifens“ von Migrant_innen ist ein großes Problem für die Kontrolle des Staates über die öffentliche Ordnung. Damit ist das Entstehen von Sammelplätzen, zum Teil sogar in improvisierten Camps, und möglicherweise von Orten der Selbstorganisation, die sich der Kontrolle entziehen und die Grenzen von Kategorie und Status hinter sich lassen, untragbar für den Staat. In Paris wie Calais wurden Camps und Besetzungen aus diesem Grund geräumt. Ganz in guter alter demokratische Tradition geht die direkte, brutale Polzeiintervention (oder ihre Androhung) Hand in Hand mit einer Armada humanitärer Gruppen, die der institutionalisierten Gewalt ein präsentables Bild geben und ein wenig Hilfe offerieren. Das Rote Kreuz bildet die Avantgarde dieser humanitären Armee. Und lasst uns nicht vergessen, dass die Entscheidungen diesbezüglich von Bezirksregierung und Stadtrat gemeinsam getroffen wurden – und das städtische Angestellte der Stadt Calais eifrig an der systematischen Zerstörung von Zelten beteiligt waren.

Die „Umverteilung“ von menschlichen Wesen, wie Rohstoffe, ausgehandelt durch die Regierungen und Verwaltet durch die europäischen Technokraten, wird auf dem nationalen Territorium penibelste gehandhabt. Asylsuchende aus er „evakuierten“ Schule von Paris wurden am 23. Oktober angewiesen, in Busse zu steigen, deren Ziel unbekannt blieb… einige fanden sich sogar in Auvergne wieder (400km von Paris entfernt…). In Calais wurden seit dem 21. Oktober 600 Personen festgenommen und umverteilt – erst mit privaten Maschinen, dann mit gemieteten Flugzeugen, um dann in verschiedenen Verwahrzentren eingesperrt zu werden (Marseille, Nimes, Rouen, Toulouse, Vincennes und Mesnil-Amelot). 400 andere, die den sogenannten „Jungel“ freiwillig verließen, wurden in sieben verschiedene Regionen zerstreut. Aufteilung, Zerstreuung ist eine vielpraktizierte Strategie zur Zerstörung von allen möglichen Bindungen gegenseitiger Hilfe und Solidarität. Der Staat rief die Stadtverwaltungen – humanitäre Show und finanzielle Kompensation zugleich – auf, sich an dieser Umverteilung zu beteiligen, wobei das Interesse an der Arbeitskraft der Asylsuchenden sicherlich keine untergeordnete Rolle spielt. Was ist normaler in einer Welt, die auf Mobilität und Ausbeutung entlang der Gesetze des Marktes basiert?

Die Kontrolle der Migrant_innen, die Kontrolle ihres Aufenthaltsortes und ihrer Bewegungen zeigen uns, dass die Kontrolle der Grenzen sich nicht in den Grenzschutz-Bullen erschöpft. Die Militarisierung der externen Grenzen Europas durch Frontex und Absicherung der innereuropäischen Grenzen wird um die Ausdehnung der Grenzen auf das gesamte Territorium ergänzt – durch permanente Kontrolle. Eine Multitude von Mechanismen, die diese Kontrolle stärken und verbreitern sollen, aber ohne die Zirkulation von Menschen- und anderem Material zu beeinträchtigen, einem essentiellen Faktor kapitalistischer Ökonomie. Der Kampf gegen die Abschiebemaschinerie vor einigen Jahren zeigte schon einige Ziele konkreter Intervention gegen die Kontrolle über Menschen ohne Papiere, wie zum Beispiel Banken, Arbeitsagenturen oder die Bahnverkehrsbetriebe.

Kontrolle von Territorium und Population

In letzter Zeit hat die Kulmination des Kampfes gegen Terrorismus, klandestine Migration, Kriminalität und Betrug klargemacht, das der externe und interne Krieg eins sind und dass die Kontrollmechanismen sich immer besser ergänzen – und sich gegen alle richten, die unerwünscht sind.

Das Zauberwort heißt Sicherheit, paradoxerweise präsentiert als die primäre und gewichtigste Eigenschaft der Freiheit. Firmen, die sich auf das Trainieren, Rekrutieren und Ausstatten von Wachleuten spezialisiert haben, boomen derzeit. Die Herrschenden haben es geschafft, die Angriffe vom Januar zu nutzen, um große Akzeptanz für die immer stärker um sich greifenden Maßnahmen der Kontrolle zu schaffen. Neben der Präsenz von Soldaten im Alltag, nehmen Polizeipatroullien und Kontrollen immer mehr zu. Um das Gesetz besser durchsetzen zu können, bekommen sie immer mehr Mittel – Schusswaffen für die städtische Polizei, Training für Sicherheitsleute von Transportunternehmen durch die Armee, Nutzung von Drohen um Menschenansammlungen zu kontrollieren (z.B. während der kollektiven Angriffe auf die Grenze in Calais), aber auch, um Infrastruktur zu schützen (z.B. nutzt die französische Bahn-Firma SNCF Drohen, um ihre Netze gegen Sabotage zu schützen.)

Die Transportachsen sind logischerweise die Orte, an denen sich die unsichtbaren Grenzen zeigen. Die „Sicherung“ des Tunnels zwischen Frankreich und England (eine absolut tödliche Sicherheit, starben mittlerweile mindestens 17 Migrant_innen beim Versuch, ihn zu durchqueren) durch die öffentlich/private Firma „Eurotunnel“ und ihrer Frachtsparte „Europorte“ ist ein besonders offensichtliches Beispiel. Es sollte aber auch beachtet werden, dass sie SNCF die Installation der Zäune entlang der Bahnstrecken zum Hafen von Calais sicherstellt. Interne Grenzen sind aber nicht an einige spezifische Orte gebunden. Unabhängig von der täglichen Partizipation des Bahnpersonals der SNCF im Aufspüren und Festnehmen von klandestinen Immigrant_innen und anderen „verdächtig“ scheinenden, insbesondere zwischen Italien und Frankreich, sind Bahnhöfe immer auch Checkpoints, die Territorien eingrenzen. Die gemeinsame Verfolgung von nicht dokumentierten Personen durch  Kontrolleur_innen und Bullen ist schon seit langer Zeit üblich und wird meistens an Verbindungen praktiziert, die durch die Überwachung von Bewegungen als strategisch richtig erscheinen. Die jüngsten Maßnahmen, insbesondere nach dem versuchten Angriff in  einem Thalys-Zug (der von in zivil reisenden US-Soldaten unterbunden wurde), ist auch das Militär wieder befugt, Menschen und Gepäck in Zügen zu kontrollieren und zu durchsuchen. Dieser weitere Schritt von Firmen des öffentlichen Nahverkehrs und der Polizei zeigt, wie sehr die Verkehrsachsen teil eines allumfassenden Repressionsapparat sind. Dieser aktiven Beteiligung wird richtigerweise immer wieder mit Angriffen auf ihr Personal, Autos, Filialen und Infrastruktur begegnet.

Kontrolle geht aber auch von technologischen Einrichtungen aus und diese werden nach und nach weiter ausgebaut. Dieses Arsenal um Individuen und verdächtiges Verhalten aufzuspüren und zu verfolgen besteht offensichtlich auch aus Videoüberwachung (CCTV). Der Staat verfolgt das Interesse, CCTV zur einer unumgänglichen Totalität zu entwickeln, auch in kleineren Städten. In den Metropolen wird die Verbindung von Überwachung immer „smarter“ , die Verknüpfung von privaten und staatlichen Kameras zielt darauf ab, die dunklen Ecken systematisch zu verkleinern und alle Knotenpunkte zu nutzen, um die Ordnung und Normalität störende Individuen zu identifizieren und zu verfolgen. Überwachungskameras werden überall, immer wieder sabotiert – zum Beispiel durch in Brand stecken der elektrischen Trafos oder Zerstörung des Glasfaserkabel-Netzwerks.

Es sollte nicht unterschätzt werden, wie essentiell die Mittel moderner Kommunikation zum Sammeln von Daten zur Überwachung geworden sind. Sie gibt nicht nur die Identität einer Person preis, sondern gibt immer auch Hinweise auf ihre Bewegungen, Kontakte, Aktivitäten und Projekte. Es ist kein Zufall, dass Gaddafi und Assad Spionageprogramme bei französischen Firmen wie Amsys und Qosmos erwarben. Es ist nicht einfach, unter dem Radar zu bleiben, wenn man Instrumente wie Handys und Computer benutzt, die einen systematisch verraten; es ist vermutlich besser, diese Mittel zu neutralisieren…
Es würde den Rahmen sprengen, alle elektronischen Prothesen aufzuzählen, von denen das tägliche Leben zunehmend abhängig wird; auch ohne näher auf die Projekte vernetzter Städte („smart cities“) einzugehen. Einen Blick auf die vielen Mikrochip-Karten lohnt sich beispielsweise in vielen Fällen, mit denen wir munter die Datenbanken speisen; von offiziellen Behörden hin zu Banken, die von jetzt auf gleich Finanztransfers nachvollziehen und verhindern können, blicken wir auf die hierdurch umfassenden Möglichkeiten der „Terrorbekämpfung“ und „Kriminalitätsbekämpfung“. Die Essenz ist vermutlich, Wege zu finden, Stöcke in die Speichen der vermeintlichen Notwendigkeit von solcher Transparenz zu werfen, wohl wissend, dass es viele Akteure gibt, die von der Entwicklung, Herstellung und Installation dieser Maschinen der Herrschaft profitieren.

Unter dem beliebten Vorwand der „Verbesserung der Lebensqualität“ steht die Implantation von Kontrolltechnologien, sowie die Etablierung von „Checkpoints“ in direkter Verbindung mit der immer fortschreitenden Einbindung von Stadtplaner_innen und Konstrukteur_innen von Gefängnissen aller Art in die Gestaltung des urbanen Raums.

Wenn wir uns auf die Entwicklung moderner urbaner Zusammenhänge konzentrieren, zum Beispiel das Projekt eines „Great Paris“, dann sehen wir, dass hier wirtschaftliche Interessen und das Bedürfnis nach Kontrolle und Verwaltung der Bevölkerung zusammenkommen. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die momentane Umstrukturierung der Städte die Etablierung großer repressiver Strukturen beinhaltet, wie zum Beispiel die Einweihung des „Französischen Pentagons“ in Balard und des  neuen Justizkomplexes in Clichy Batignolles. Auch kleiner Vororte werden in diese neue Ballungs-Struktur eingebunden, wie z.B. Issy-les-Moulineaux durch die Eröffnung des neuen Hauptquartiers der nationalen Militärpolizei.
Diese Neuausrichtungen gehen mit der Zentralisierung von Justizbehörden einher, was dazu führen soll, dass sie ihre schmutzige Arbeit noch effektiver verrichten können. Gleichzeitig hilft dieses Projekt dabei, die letzten Überreste populärer, intramuraler Stadtteile wegzuschaffen und die Besatzung konfliktreicher Quartiere zu vervollständigen. So wird das Ministerium des Inneren im Garance-Gebäude im 20. Bezirk angesiedelt, während das Justizministerium im 19. zentralisiert wird. Eines der Quartiere des Nationalen Forensischen Institute wird in den konfliktreichen Stadtteil Saint-Denis verlegt.

Wenn sozialer Frieden durch die Partizipation der Bürger_innen realisiert wird, durch  ein Paar Krümel vom Kuchen und marktwirtschaftliche Demokratie, lebt er auch von der Ausgrenzung der Unerwünschten, auch an vorgeblich öffentlichen Orten, organisiert entlang der Bedürfnisse der Ökonomie und Kontrolle, die zunehmend nur durch automatische Türen betreten werden können.

Die Masseneinsperrung in zunehmend zahlreichen und immer weniger zu unterscheidenden Einrichtungen (Gefängnisse für Minderjährige, Erwachsene, Ausländer, Verrückte…) und die Ausweitung der Möglichkeiten von Einsperrung „Zuhause“ und anderer „alternativer“ Strafkonzepte, die über die elektronische Fußfessel weit hinausgehen, tragen zur Entwicklung der Territorien zu einem riesigen Freiluftgefängnis bei. Die Realisierung dieser Konzepte  und ihre Profiteure, inklusive der Transportunternehmen, müssen dennoch auch einige Rückschläge einstecken. Das Niederbrennen von Shoppingzentren und öffentlichen Gebäuden, unter anderem Polizeistationen und Gerichte, während der Revolten von 2005 zeigte, wie sehr diese auch als Teil der alltäglichen Unterdrückung wahrgenommen werden. Ohne ins Detail zu gehen ist es gut sich ins Gedächtnis zu rufen, dass dies wahrscheinlich der Grund ist, aus dem die Architekturbüros angegriffen werden und Firmen wie Eiffage, Bouygues, Vinci, Spie-Batignolle regelmäßig Filialen, Autos und Baustellenmaterial einbüßen müssen.

Die Reihen durchbrechen

Wenn der Staat versucht, Konsens durch andauernden Krieg gegen einen vielgestaltigen inneren Feind zu etablieren, scheint die zivile Zustimmung eine Risse aufzuzeigen. An vielen Orten wird die Polizei zurückgedrängt oder angegriffen und der Feindschaft gegenüber dem Militär wird auch an vielen Orten mit verschiedenen Mitteln Ausdruck verliehen, Soldaten werden beschimpft, Militäreinrichtungen mit Steinen begegnet. Propaganda und Rekrutierungsprogramme treffen nicht nur auf Zustimmung, in Besançon wurde über Tage eine große Ausstellung der Armee unterbrochen und über Monate wurden in verschiedensten Städten Rekrutierungsbüros angegriffen.

Darüberhinaus ist der Staat damit konfrontiert, maximale Kontrolle zu realisieren, ohne die Maschinerie von Produktion und Konsum zu verlangsamen. Diese zeigt sich ganz offensichtlich im Transport-System: Die Anzahl „verdächtiger“ Pakete in Pariser U-Bahnen hat sich von einem Durchschnitt von 2-3 auf 70 pro Tag erhöht, im Januar wurden durch diese ein Dutzend von Verkehrsunterbrechungen provoziert, häufig bis zu 45 Minuten pro Alarm. Diese sich wiederholenden Verspätungen schränkten die Waren- und Menschenzirkulation so sehr ein, dass die Sicherheitsstandarts (vorübergehend) wieder reduziert wurden. Gleichzeitig wurden die Durchsuchungen von Taschen durch Sicherheitsleute an den Eingängen von Einkaufszentren nahezu wieder eingestellt, da diese ohne Zweifel negative Einflüsse auf die Bewegung von Waren hatten.

Aus einer Perspektive, die weit ab von Forderungen nach Reformen bestimmter Aspekte des Systems auf seine vollständige Zerstörung durch eine generalisierte Revolte abzielt, ist seine Fragilität und die existierende Feinschaft ihm gegenüber eine offensichtliche Einladung, Initiativen des Angriffs und der Zerstörung gegen alle Strukturen zu ergreifen, die es ihm strukturell erlauben, zu kontrollieren, zu deportieren und einzusperren.

In einer Zeit, in der das demokratische Regime mehr und mehr sein wahres Gesicht zeigt, das eines permanenten Kriegs der Mächtigen gegen die Enteigneten – in einer Zeit, in der patriotische, nationalistische und religiöse Reaktionäre offen ihre Ambitionen vertreten, ihre Ordnung zu etablieren, ist es eine der großen Fragen, wie wir Vorschläge zum Kampf mit eindeutig emanzipatorischer Ausrichtung vorgebracht werden können. Die Antwort kann keine einheitliche sein, aber sie muss klar über ihre Perspektiven und Methoden sprechen. Um dem Bestreben, Induviduen und Freiheit zu zerstören gefährlich zu werden, können sich diese Vorschläge nur an jene richten die, bewusst oder unbewusst, selbstorganisiert und ohne institutionelle Mediation kämpfen, durch direkte, offensive Aktion. Um sowohl mit der Atomisierung und der Normalität von Unterdrückung zu brechen ist es wichtig Wege zu finden, diese Initiativen und Kämpfe mit einer gewissen Kontinuität zu führen, auf der Suche nach potenziellen Echos und Komplizenschaften. Dies wird unserer Meinung nach möglich durch die Verbreitung von Analysen, spezifischer Information und resoluten, antagonistischen Aktionen innerhalb des sozialen Konflikts.

Die hier ausgeführten Aspekte von Reflexion und Aktion haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern sollen zu einem informellen Forum für Diskussionen und potenzielle Verbindungen zwischen Initiativen, die in diese Richtung gehen würden, beitragen. Hoffentlich verursacht, trifft und verstärkt dieser Beitrag Echos und Vertiefung von Diskussionen in verschiedenen Kontexten…

Rassistische Angriffe & Bundeslager in Thun

gefunden auf indymedia

Racial Profiling, die Jagd auf dunkelhäutige Menschen, nimmt in Thun einen neuen Höhepunkt an.
Am Dienstagnachmittag 9.2 hat eine Polizeipatroullie junge dunkelhäutige Männer in der thuner Innenstadt gestoppt und wollte diese kontrollieren und durchsuchen. Verständlicherweise verweigerten zwei Personen die Durchsuchung in der Öffentlichkeit. Daraufhin wollten die Polizisten die Betroffenen sofort festnehmen. Unterstützt durch rassistische Passant_innen wurden sie massiv beleidigt, bedroht und schliesslich zu Boden gedrückt. Während die Polizei die Betroffenen festhielt, begannen mehrere Leute auf die am Boden Liegenden einzutreten. Ein Mob von rassistischen Zuschauer_innen heizte die Stimmung weiter an. Die zwei Personen, die sich der Polizeikontrolle widerstezten wurden anschliessend ins Gefängnis gesteckt. Einer wurde inzwischen verlegt, der andere befindet sich bereits in Ausschaffungshaft.

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Solche niederträchtigen und rassistischen Übergriffe von Polizei und Nationalisten sind nicht weiter erstaunlich, da sie die logische Folge der Asylpolitik des Staates und seiner Kategorisierung der Menschen sind.

Die Polizei vedreht in ihrem Communique natürlich komplett die Tatsachen und stellt sich als Opfer dar, was von der bürgerlichen Presse völlig unkritisch kopiert und abgedruckt wird. Von allen Seiten wird nun auf die Migrant_innen eingedroschen, sogar Gruppen wie Thun4Refugees zeigen nun ihre rassistische Fratze und verlangen das alle Migrant_innen dankbar für ihre Unterdrückung sein sollen und sich auf keinen Fall dagegen zur Wehr setzen sollen.

Migrant_innen welche momentan im Thuner Bundesasylzentrum in einer Panzerhalle auf dem Waffenplatz eingesperrt werden, sind nicht nur durch die Polizei, sondern auch durch die Lagerstrukturen permanenter Kontrolle ausgesetzt. Es herrscht Ausgangsprerre zwischen 17:00 und 09:00, beim Betreten des Lagers werden alle Migrant_innen penibel von der Securitas abgetastet. Weder Essen noch Getränke dürfen mitgebracht werden. Für alle neuen Sachen muss eine Quittung vorgewiesen werden. Ganze 3 Toilletten werden für 300 Personen zur Verfügung gestellt. Kochen, Handys, Internet, Kameras sind verboten. Immer wieder werden Migrant_innen in der Stadt grundlos für Diebstähle oder Belästugung beschuldigt, was dazu führt, dass viele Personen das Lager gar nicht mehr verlassen.

Weil wir wollen, dass alle Menschen selbstbestimmen können, wie und wo sie leben, wollen wir die Lager und das Asylsystem nicht verschönern und etwas angenehmer machen. Alle Instanzen und Akteure im Asylsystem basieren auf Unterdrückung und müssen bekämpft werden.
Alle Lagerstrukturen und Grenzen müssen weg!

Wir bewundern den Mut sich gegen die Polzei zu wehren auch wenn eine direkte Ausschaffung droht. Wir solidarisieren uns mit allen vom Asylregime betroffen und vorallem jenen, die sich gegen die Polizei und Nationalisten wehren.

Einige Anarchist_innen

„Sie können uns verhaften aber die Stimme der Freiheit können sie nicht aufhalten“ – Ein Interview mit Said von der „coordination des sans papiers“ –

übersetzt von ricochets nr. 18 – bulletin contre la maxi-prison et le monde qui va avec

– Seit einem Jahr ist die Koordination der Sans-Papiers in den Strassen Brüssels mit Demonstrationen und anderen Aktionen präsent. In welche Richtung will diese Koordination gehen und kannst du uns von einigen wichtigen Elementen dieses bewegten Jahres erzählen?

Langfristig gesehen ist unser Ziel die Regularisierung aller Sans-Papiers und kurzfristig möchten wir ein Treffen mit den Verantwortlichen des belgischen Staates bewirken. Es gibt zwei Teile in unserem Kampf: Erstens, die Sensibilisierung rund um die Frage der Migration und der Sans-Papiers, zweitens der Teil des Kampfes. Jeden Montag und Donnerstag versammlen wir uns vor dem Büro von Théo Francken (Einwanderungsminister) und vom Premierminister. Wir beteiligen uns auch an anderen Demonstrationen, denn unser Kampf ist mit dem Kampf der heutigen Gesellschaft verbunden.

In diesem Jahr gelang es, uns mit 7 verschiedenen Gruppen von Sans-Papiers zu koordinieren. Wir organisierten zwei grosse, nationale Demonstrationen, namentlich die am 3. Mai und die am 25. Oktober. Wir wollen die Frage in seiner Gesamtheit angehen, in Richtung eines europäischen Kampfes, denn die Gesetze, die die Immigration betreffen, sind auf einem europäischen Niveau gemacht. Deshalb haben wir uns mit verschiedene Kollektiven in Europa getroffen (Kollektive aus Paris, Italien und Deutschland). Wir fassen uns in der „internationalen Koalition der Sans-Papiers“ zusammen.

Im September war der parc Maximilien ohne Zweifel der lebendigste von ganz Brüssel. In den Quartieren aber auch in den Medien sprach man viel darüber. Die Medien zögerten nicht, die Geschichte dieses Parks zu verunstalten. Kannst du uns erzählen wie sich die Koordination der Sans-Papiers während dem Ende dieses Sommers organisierte?

Unser Auftreten verfolgte zwei Ziele. Wir wollten uns mit den Flüchtlingen solidarisieren und wir wollten die Migrationspolitik, aber auch die Verantwortung des Staates, der die Flüchtlinge in den Strassen lässt, denunzieren.

Die Ersten, die die Flüchlinge aufnahmen, das waren die Sans-Papiers. Es gab auch eine Bürgerplattform, die sich vormierte, eine nicht politisierte Bewegung, die während einer spezifischen Periode, besonders bis zur Demo vom 27., Wohltätigkeit spenden wollte. Danach entschied sich diese Plattform in die vom Staat gegebenen Häuser zu ziehen. Die Sans-Papiers, die einen poltischen Ansatz und eine politische Vision hatten, trafen die Entscheidung, auf dem Platz zu bleiben, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu bekommen und Druck auf die Verantwortlichen des Staats auszuüben.

Den Park belebten wir auf verschiedenen Ebenen. Wir organisierten Diskussionen, Musikabende, Versammlungen, Filme, Debatten, eine Radiosendung namens „voix sans frontière“ („Stimme ohne Grenzen“) als Ort der Kommunikation und Diskussion unter den Flüchtlingen und den Bürgern, die kamen und infolge der Medienberichterstattungen helfen wollten.

Für die Sans-Papiers war dies eine Möglichkeit zu erklären, was ein Sans-Papier ist und wer die Sans-Papiers sind. Wir kreierten den Spruch „die Flüchtlinge von heute sind die Sans-Papiers von morgen und die Sans-Papiers von heute sind die Flüchtlinge von gestern“. Wir haben Erfahrung und wissen, dass viele Nationalitäten den Status des Flüchtlings nicht bekommen werden, zum Beispiel die Pakistanis und Iraker. Es war für uns eine Möglichkeit, anzuprangern und Fragen aufzubringen: „Sans-Papiers, Flüchtlinge: gleiches Problem“. Die Sans-Papiers werden die Glocke ziehen, um die Teilung zwischen Flüchtlingen und Sans-Papiers anzuprangern.

Die Sans-Papiers treten seit 2013 im Park vor der Ausländerbehörde mit der Karawane der Migranten, die dort ein Camp machten, auf. Der Park ist für uns ein symbolischer Ort, es waren nicht nur die Probleme der Flüchtlinge, die die Sans-Papiers zum Park brachten, sondern auch ihre eigenen.

Anfangs waren wir zusammen mit Collect Activ‘ mit einem Linseneintopf vor Ort, um dies den Flüchtlingen zu geben. Dies ist der Anfang der Sans-Papiers in der Problematik der Flüchtlinge. Danach kam die Plattform mit den staatlichen Organisationen (Rotes Kreuz, SAMU social, Médecins du Monde), um die Situation ausschliesslich auf eine karitative Weise zu verwalten. Wir waren nicht einverstanden, da wir ein anderes Ziel hatten. Für uns ging es nicht um Wohltätigkeit sondern um eine politische Frage. Die Sans-Papiers berührten das Herz der Sache im Park: Sie machten klar, wer der Veratwortliche der Aufnahme ist und prangerten diese Poltik, welche Menschen leiden lässt, an. Die Staaten von allen europäischen Länder führen Krieg und die Bürger wählen für diese Regierungen.

Unsere Ansicht störte den Staat und die Polizei (die immer kamen, um uns auf den Wecker zu gehen), denn unser Ansatz ist sehr klar. Der Staat hatte Angst, dass eine Massenbewegung aus dem Park hervorkommt.

Später habt ihr euch entschieden, ein Gebäude in Ixelle zu besetzen, das Haus der Migranten. Kannst du uns die Rolle dieses Gebäudes für den Kampf der Sans-Papiers erklären?

Wir wollten ein Gebäude besetzen, um einen gemeinsamen Kampf mit der Unterstützung von anderen Aktivisten mit Papieren zu organisieren, um eine Bewegung zu bilden, die die Frage der Sans-Papiers und der Migration in seiner Gesamtheit behandelt. Wir haben zwei Ziele: dass sich die Sans-Papiers um ihre Angelegenheit organisieren und zweitens, den Kampf mit der Unterstützung von anderen Strömungen mit Papieren zu organisieren.

Das Gebäude ist ein Ort der Solidarität. Es gibt zwei bewohnte Etagen: eine für die Sans-Papiers, die sich mit uns in der Bewegung der Sans-Papiers bewegen wollen und eine andere für die Flüchtlinge, die wir aufgenommen haben. Das Gebäude ist nicht für alle offen, es ist für diejenigen, die sich organisieren und bewegen wollen.

Das Gebäude ist auch ein Ort für soziale Aktivitäten, die das Bewusstsein geegenüber den Sans-Papiers oder anderen Fragen vor Ort mitbringen. Es ist auch ein Raum, um zu teilen und sich mit anderen Strömungen zu treffen, die gegen dieses System, das die Menschen unter den Sans-Papiers und anderen oder Sans-Papiers und Flüchtlingen teilen will, kämpfen.

– Gester kam es zu einer Demo, die von der Ausländerbehörde aus losging und zum Kommissariat von Schaerbeek führte, um die Freilassung von während einer Räumung verhafteten Personen, darunter 4 Sans-Papiers, zu fordern. Am Morgen wurde der Squat von 200 Bullen geräumt, am Nachmittag waren 200 solidarische Menschen vor dem Kommissariat. Es war nicht das erste Mal, dass sich ein Elan der Solidarität nach der Verhaftung von einem eurer Kameraden ausdrückte. Kannst du uns erzählen, was Solidarität für euch bedeutet?

Die Solidarität ist uns sehr wichtig. Man ernährt sich von ihr und sicherlich schaffen wir diese Solidarität unter uns. Wir leben in Squats und kämpfen gegen Verhaftungen. Gestern gab es eine Demo im Rahmen der Solidarität mit den verhafteten Sans-Papiers und den Kameraden mit Papieren. Wir organisiseren Demonstrationen gegen die geschlossenen Zentren und die Einsperrung von Sans-Papiers. Die Solidarität ist ein wichtiger Punkt für uns, wir sehen das nach jeder Befreiung, wie gestern, als wir die Befreiung von vier Sans-Papiers erreichten. Gestern waren wir solidarisch mit den Sans-Papiers, die aus ihren Wohnungen verwiesen wurden, sie, wie viele andere unter uns, leben heute in einem Squat. Wir haben nicht das Recht zu arbeiten, daher können wir die Miete nicht zahlen. Gestern versuchten wir auch, die Solidarität zwischen den Sans-Papiers und auch zwischen den Sans-Papiers und den anderen zu zeigen.

– Uns gegenüber steht ein Staat, der sich an allen gesellschaftlichen Fronten in repressiver Offensive befindet. Uns gegenüber haben wir eine Militarisierung der Grenzen und ein terrorisierendes Klima gegen die Migranten und andere Unterdrückte. Im Mittelmeer haben wir ein Massengrab und der belgische Staat hat eine Zunhame der Kapazitäten in den geschlossenen Zentren angekündigt. Wie können wir entschlossen bleiben und und uns nicht entmutigen lassen angesichts dieser vernichtenden und mörderischen Offensive?

Uns gegenüber gibt es Staaten, die die Migrationspolitik auf eine repressive Art leiten, um die Repression auf die Gesellschaft auszuüben und um die Trennung zwischen den Thematiken zu vereinfachen und die Konkurrenz zwischen den Menschen zu nähren, zum Beispiel: Flüchtlinge gegen Sans-Papiers, Sans-Papiers gegen Arbeiter. Das Problem all dessen ist eine Gesellschaft, die auf einer kapitalistischen Politik gründet. Die an die Sans-Papiers gebundenen Fragen sind welche mit politischen und wirtschaftlichen Interessen. Frontex, zum Beispiel, hat ein wirtschaftliches Interesse: Millionen Euros um Migranten zu blockieren (und zu töten) und um ihre Waffen und andere Geschäfte, die man nicht kennt, zu fördern. Es gibt auch wirtschaftliche Interessen bei den Abschiebungen, eine einzige Abschiebung kostet rund 28 000 Euros und für kollektive Abschiebungen werden Armeeflugzeuge gemietet.

Die Bewegung der Sans-Papiers haben heute ihre kämpferischen Ansprüche entwickelt: Wir beanspruchen Papiere, um gleichgestellt zu sein und um weiter zu gehen, fordern wir die Schliessung der geschlossenen Zentren und die Öffnung der Grenzen. In diesen Fragen kämpfen wir teilweise auch mit anderen Akteuren der Gesellschaft zusammen, beispielsweise mit denen, die gegen die Einsperrung oder die geschlossenen Zentren kämpfen. Dies ist ein gemeinsamer Punkt mit den Menschen, die gegen die geschlossenen Zentren und die Gefängnisse kämpfen.

Zum Schluss möchte ich sagen, dass die Sans-Papiers heute Teil der wirtschaftlichen Gesellschaft sind, wir zahlen Steuern und wir partizipieren in der sozialen Bewegung mit unseren Mitteln (zum Beispiel dem Radio, télé sans-papiers oder anderen Initiativen). Ich will sagen, dass wenn wir heute die Grenzen sehen, so sind sie für die Reichen und für die Reichtümer unserer Länder offen, wieso sind sie für die Armen geschlossen?

weitere Informationen und Neuigkeiten zum Kampf der Sans-Papiers in Brüssel findet ihr unter sanspapiers.be

An die Betroffenen

gefunden in der Dissonanz Nr. 17, 23. Dezember 2015

Nach wie vor ist die Thematik “Flüchtlinge” ein heisses Eisen. Die einen tauchen dieses, wie sie es halt gewohnt sind, ins kalte Wasser und legen es danach zu den anderen Fabrikationen dieser Gesellschaft, um sich dem nächsten mit ähnlicher Aufmerksamkeit zu widmen. Andere halten dieses Eisen durch politisches Kalkül so heiss, damit es sich nach Belieben und eigenen Interessen verbiegen lässt. Und wieder andere überlassen das Schmieden jenen, die ihrer Ansicht nach genug qualifiziert sind und schon wüssten, was zu tun sei. Doch es gibt auch solche, die da nicht ein Eisen sehen; die den Schmied und seine Giesserei verabscheuen; die die Tragödien an sich heran lassen; die da Menschen sehen. Die medial aufgebauschte Welle der humanitären Betroffenheit, der affektiven Hilfeleistungen und der selbstgerechten Ersatzhandlungen wie Refugees-Welcome-Facebookgruppen, Refugees-Welcome-Kundgebungen mit Parteien und NGOʹs etc., scheint langsam abzuflachen und das Feld nun ganz der Politik mit ihren Experten, Sonderstäben und verwalterischen Möglichkeiten zu überlassen – ein abgekühltes Eisen also…

Doch was passiert eigentlich?

Man könnte also meinen, dass die Dynamik abgeflaut sei, dass sich die Gesellschaft nicht mehr für Geflüchtete interessiere, oder zumindest nur noch marginal. Was die Marginalität angeht,so könnte dies sogar zutreffen. Doch was nun hervorsticht, ist die Qualität, die die jeweiligen Initiativen mit sich bringen. Es ist wiedereinmal nicht die Masse, die versucht, die Distanz zu verringern, die versucht, selbstorganisierte Strukturen aufzubauen, die versucht, durch Vertrauen und Ehrlichkeit ein gleichwertiges Verhältnis zwischen Hiesigen und Geflüchteten anzustreben, die versucht, durch Wissensaustausch den symbolischen Widerstand zu verlassen, um wirklich gefährlich zu werden für all jene Menschen, Institutionen und Unternehmen, die an diesem Migrationsregime mitwirken und davon profitieren. Nein, es sind Einzelpersonen, kleine Grüppchen und mehr oder weniger grössere Zusammenhänge, die Tag für Tag die Initiative ergreifen, um die gesellschaftliche Isolation zu durchbrechen und sich mit Geflüchteten treffen, diskutieren, Erfahrungen austauschen, Handlungsmöglichkeiten erarbeiten, (Wohn-)Räume eröffnen, sie verstecken, sie über die Grenze bringen usw. – ohne einen dementsprechenden Uni-Abschluss, ohne ein Salär, ohne Autorisierung irgendeiner staatlichen Instanz (all das wäre angesichts der Tatsachen völlig absurd!), oder sonst was. Es sind normale Individuen, die sich dafür entschieden haben, diesem staatlichen Terror, der fortwährend alle Menschen – mit- oder ohne Papiere– domestiziert, unterdrückt, ausbeutet, und all jene mit noch schlechterem Los in Lager und Gefängnisse steckt, und sie, falls möglich, in Tod und Elend deportiert, entschlossen entgegenzutreten und ihn bis aufs Letzte zu bekämpfen. All dies für die eigene Freiheit, für die Freiheit Anderer, für die Freiheit von allen. Nichts an dieser Entscheidung ist heroisch, nichts moralisch. Sie ist Resultat eines persönlichen Prozesses, der sich aus direkten und indirekten Erfahrungen zusammensetzt und sich immer weiterentwickelt. Je mehr man sich diesem Prozess annimmt, je mehr man die Distanz verkürzt, emotional wie auch physisch, desto mehr Fragen und Möglichkeiten tun sich auf. Denn es gibt keine Lösung des “Flüchtlingproblems” (zumal von einem Problem zu sprechen schon xenophob genug ist, aber so sind die Medien und ihre menschlichen Papageien halt) ohne eine Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die dieses “Problem” erst erschaffen haben. Doch das heisst nicht, dass man bloss dasitzen und auf die Revolution warten soll, nein, das wäre marxistischer Fatalismus. Denn die gesellschaftlichen Verhältnisse, arm und reich, Ausbeuter und Ausgebeutete, Unterdrücker und Unterdrückte, Herrscher und Beherrschte, Gesetzgeber und Gesetzesbrecher, Eingeschlossene und Ausgeschlossene, Privilegierte und Diskriminierte, lösen sich nicht einfach auf wie eine Brausetablette im Wasserglas. Diese Missstände aufzulösen verlangt Zeit, Ausdauer, emotionale Stützen, Wissen, Verbündete, Entschlossenheit, Optimismus, Wagemut, genaue Analysen der eigenen Realität, Wut und Liebe. Und doch vermögen wir es nicht, in einem Menschenleben all diese Hürden und Grenzen niederzureissen, um endlich mit unserer gewonnen Freiheit experimentieren zu können und zu lernen, was Leben denn noch alles bedeuten könnte…

Lasst uns handeln – alle

Diese Perspektive ist jedoch nicht etwas, das uns erschüttern sollte. Zu tief reichen die Wurzeln der Autorität im menschlichen Geist, als dass sie sich von heute auf morgen einfach herausreissen
liessen. Vielmehr sollte die Perspektive des scheinbar Unerreichbaren all jene, die ihr Leben nicht in den verschwenderischen Mülleimer des Ruhms, des Reichtums, des Herumkommandierens,
der apathischen Gefolgschaft oder des blinden Konsums werfen wollen, sondern sich dem Bestreben der zu erlangenden Freiheit aller annehmen, jeden Tag aufs neue anspornen, diesen Wunsch zu verwirklichen – mit allen uns verfügbaren Mitteln und Wegen der direkten Aktion! Überall gibt es Lager, Bunker, Gefängnisse und Anstalten, wo man mit Menschen in Kontakt treten kann. Überall gibt es Verwaltungszentren und Verwalter, private und staatliche Sicherheitsunternehmen und Entscheidungsträger, Polizeiposten und Polizisten, Gerichte und Staatsanwälte, kollaborierende NGOʹs und Vorsteher, Parteibüros und Politiker, hetzerische Medien und Journalisten, die angegriffen gehören und konkret daran gehindert werden müssen, ihre Tätigkeit weiterhin auszuführen. Was es nicht gibt, sind Gründe, nicht zu handeln.

 

Weg mit den „Balkan-Lagern“! Gegen alle Grenzen und Papiere!

gefunden in Fernweh Nr.17 – anarchistische Strassenzeitung

  • Zwei neue Abschiebe-Zentren in Bayern nur für Geflüchtete aus dem (West-)Balkan, in Manching bei Ingolstadt und Bamberg
  • möglichst schnelle Registrierung, Bearbeitung und Abschluss der Asyl-Verfahren und letzten Endes schnellere Abschiebung (höchstens 3-4 Wochen Aufenthalt)
  • Verwaltung durch: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, zentrale Ausländerbehörde, Verwaltungsgericht, karitative Einrichtungen, Sicherheitsdienste, Bundespolizei

Serbien, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Kosovo, Albanien und Montenegro sind nun erklärte „sichere Herkunftsländer“, denn wer hier her kommt, in der Hoffnung auf ein besseres Leben, aber nicht vor Krieg und anerkannter Verfolgung flieht (Roma zu sein zählt wohl nicht), wer nicht das Vermögen, die Fähigkeiten oder die Bereitschaft mitbringt, um wirtschaftlich verwertet zu werden, der gilt als „überflüssig“.

Der Staat kategorisiert in „Gut“ und „Böse“: einerseits in „schutzbedürftige Bürgerkriegsflüchtlinge oder politisch/religiös Verfolgte“, und auf der anderen Seite in „kriminelle Asylrechtsmissbraucher und Wirtschaftsflüchtlinge“, da es in seinem Interesse ist, zu selektieren, wer die Chance bekommt sich hier zu integrieren und wer nicht berechtigt genug dafür ist, aber gleichzeitig auch, um sein Menschenrechts-Demokratie-Image aufrechtzuerhalten.

Die Lager, egal welcher Herkunft die Leute in ihnen sind, spielen dabei generell die Rolle, Unerwünschte und nicht Verwertbare von der Gesellschaft abzusondern und zu isolieren, um möglichst schnell und reibungslos alle wieder loszuwerden, die nicht (in den Arbeitsmarkt) integriert werden können. So wird versucht, jede freie Begegnung auf Augenhöhe ohne (staatliche) Vermittler zu verunmöglichen, die sich über das bloße unterstützende „Hilfe leisten“ hinaus entwickelt und beginnt, solidarische Komplizenschaft entstehen zu lassen. Eine Komplizenschaft, die vielleicht Tumult und Unruhe verursachen könnte, zwischen Leuten drinnen und draußen, die feststellen, dass die Fronten nicht zwischen Nationalitäten und Kulturen verlaufen, sondern zwischen denjenigen die entwürdigen, einsperren, regieren und denen die entwürdigt, eingesperrt und regiert werden.

Egal welche Nationalität in unseren Ausweis-Papieren steht, oder ob wir überhaupt welche besitzen, lasst uns denjenigen, die bevormunden, einsperren, abschieben, uns nur als verwertbare Ware für die Wirtschaft sehen, deutlich machen, was wir von ihnen halten…

Die Freiheit der Bewegung ist nur durch die Zerstörung aller Grenzen, aller Pässe, aller Staaten und Lager zu erlangen und nicht durch die Anerkennung irgendeines rechtlichen Status.

Weg mit allen Lagern, Abschiebe-Zentren, Grenzen, Staaten und seinen Dienern!