Archiv für den Monat: September 2017

Fiasko-Magazin N°2

gefunden auf barrikade

Vor kurzem ist die zweite Ausgabe des antirassistischen Fiasko-Magazin aus Basel veröffentlicht worden. Darin finden sich etliche sehr lesenwerte Artikel zum Thema Migration und Antirassismus in Originalsprache und in englischer Übersetzung. Die ganze Zeitung kann auf fiasko-magazin.ch als .pdf heruntergeladen werden.

Editorial

Fiasko against fiasko

In der Schweiz, in Europa und vielerorts auf der Welt werden Migrant*innen als unerwünscht bewertet. Ankommende Menschen werden abgewiesen, isoliert, verwaltet und eingesperrt. Wer sich dem entgegensetzen will und zuverlässige Informationen sucht, steht vor einem undurchdringlichen Dschungel aus Gesetzen, Verordnungen und behördlicher Willkür. Die Medien sind voll von oberflächlichen Berichten aus der immer gleichen anmassenden Perspektive. An den Strukturen der Verhältnisse soll nicht gerüttelt werden – ganz anders der Anspruch dieser Zeitung!

face it: mehr als informieren und kommentieren

Hier sollen kritische und selbstbestimmte Texte Platz finden von Menschen, die nicht länger ein Migrationsregime mittragen wollen, das kategorisiert, unterdrückt und ausbeutet. Von Menschen, die genug haben von einer privilegierenden und ausgrenzenden Gesellschaft und ihre Stimme erheben wollen – leise und bedacht, laut und wütend. Von Menschen, die frei wählen wollen, mit wem sie wie zusammenleben, wo sich ihr Leben abspielen soll und dies für alle fordern – offen und solidarisch.

deal with it: mitdenken, austauschen und eingreifen

Diese Zeitung soll Bewusstsein stärken und Aktion gegen jegliche Praxis der Illegalisierung, Diskriminierung und Ausgrenzung befördern. Bring dich mit eigenen Texten ein, um grundsätzliche Kritik an den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen, die das Migrationsregime stützen, zu üben. Die Formen sind vielfältig – neben Berichten und Artikeln sollen auch gestalterische Inputs wie Fotografien, Zeichnungen, Comics und Gedichte Platz finden. Alle Texte erscheinen in Originalsprache und in englischer Übersetzung.

go further: nutzen wir (das) Fiasko

Auf der letzten Seite: Orte als reale Treffpunkte, um sich auszutauschen, zu verbinden und sich zu organisieren. Und auf jede Ausgabe folgt ein Treffen, an dem anhand der Beiträge diskutiert wird. Zusammen möchten wir nach Wegen suchen, die Kontroll- und Sortiermaschine zu stören und solidarisch Alternativen zu Bunkeressen, Behördengängen und Bewusstlosigkeit zu entwickeln.

Grand-Synthe, Frankreich: Camp mit hunderten Migranten geräumt

übersetzt von thelocal.fr

Französische Behörden haben am Dienstag (19.09.17) an der Nordküste in der Nähe von Calais ein Camp mit hunderten Migranten geräumt. Es hätte ein Magnet für andere werden können, die hoffen, nach Grossbritannien gelangen zu können.

Etwa 350 Männer, Frauen und Kinder, die meisten irakische Kurden, lebten über Wochen unter armseligen Bedingungen in den Wäldern am Rande von Grand-Synthe.

Hunderte Polizeikräfte wurden mobilisiert, um das Camp zu räumen. Die Bewohner wurden in Bussen in zehn verschiedene Lager in ganz Frankreich gebracht. (…)

Grand-Synthe liegt 30 km von der Hafenstadt Calais entfernt, wo die Behörden 2016 den „Jungle“ räumten, in dem bis zu 10‘000 Menschen lebten.

Ein Flüchtlingslager mit internationalen Standards für 1500 Personen wurde Anfang 2016 in Grand-Synthe eröffnet. Nach einem Streit zwischen Afghanen und Kurden wurde das Lager allerdings in einem riesigen Feuer zerstört. (…)

Ein anderes Camp in Norrent-Fontes wurde am Montag (18.09.17) geräumt. Die 85 Bewohner wurden in Lager in der Region gebracht.

 

Zur Erweiterung des Bässlerguts

gefunden auf Fiasko – critical intervention against migration regimes Nr. 2

Das Straf- und Ausschaffungsgefängnis Bässlergut soll um einen zweiten Bau erweitert werden. Der Neubau wird 78 Plätze für den regulären Strafvollzug bieten, wodurch im „alten“ Gebäude neu 73 Plätze der Ausschaffungshaft zur Verfügung stehen. Mit der Erweiterung des Bässlerguts zeigen sich die Entwicklungen zunehmender Kontrolle, Überwachung und Kategorisierung von Menschen.

Geschichte des Bässlerguts

Das Ausschaffungsgefängnis Bässlergut verdankt seinen Namen der Familie Bässler, die bis 1962 das Grundstück als Hofgut Otterbach bewirtschaftete. Nachdem der Boden durch den Staat erworben wurde, entstand darauf 1972 eine Empfangsstelle für Asylbewerber*innen und im Jahr 2000 der heutige Ausschaffungsknast Bässlergut I (Der Einfachheit halber nennen wir den alten Gebäudekomplex Bässlergut I und die Erweiterung Bässlergut II), mit 48 Haftplätzen. Folglich ist die Geschichte rund ums Bässlergut relativ jung und soll hier als Produkt einer Politik verstanden werden, welche nicht der Norm entsprechende Menschen ausgrenzt und kriminalisiert. Dies wird im steigenden politischen Willen der Schweiz ersichtlich, Menschen – in diesem Fall Migrant*innen – konsequenter in erwünscht (nützlich) und unerwünscht (unnützlich) zu kategorisieren und Letztere schnell loszuwerden. Diese Kategorisierung von Migrant*innen geht mit deren Kriminalisierung einher, welche mit der Ausländergesetzrevision 1994 weiter vorangetrieben wurde. Damals befürwortete eine Mehrheit der abstimmenden Bevölkerung die Integration von Zwangsmassnahmen im Ausländergesetz, wodurch die Freiheitsstrafe zur Vorbereitung der Ausschaffung (Administrativhaft) legalisiert wurde. Diese Entwicklung ist nicht nur in der Schweiz, sondern auch international zu beobachten. So festigten Rückübernahmeabkommen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Bekämpfung von Menschen ohne Bewilligung. Während die rechtlichen Grundlagen für den Ausbau der Freiheitsstrafe geschaffen wurden, stieg aber der bürokratische Aufwand der Durchführung von Wegweisungen. Folglich dauerte die Vorbereitungszeit zur Ausschaffung länger, während die politische Agenda auch die Anzahl auszuschaffender Menschen ansteigen liess. Die für Ausschaffungen reservierten Plätze in den Knästen des Strafvollzugs Schallenmätteli für Männer und Waaghof für Frauen – wurden der neuen Situation nicht mehr gerecht: neue Plätze mussten geschaffen werden. Die Forderungen nach dem Ausbau der Knäste ging mit der (räumlichen) Trennung von Gefangenen einher. Da Menschen in Ausschaffungshaft sich in Adminstrativhaft be nden (also nicht auf Grund von einer Straftat der Freiheit entzogen werden), sollten sich die Haftbedingungen von jenen im Strafvollzug oder der Untersuchungshaft unterscheiden, so die Argumentation. Um diese Unterscheidung von Gefangenen zu realisieren, eignete sich der Neubau von separaten Knästen. Auch wenn sich in Realität die Haftbedingungen kaum unterscheiden (siehe unten), wurde diese Kritik der Ausschaffungshaft zur Legitimation von neuen Knästen genutzt. Dennoch kam es im Jahr 2011 mangels Haftplätzen im Gefängnis Waaghof, zur Umnutzung einer Station für den regulären Strafvollzug im Bässlergut I. 2012 und 2013 wurde je noch eine weitere Station für den Strafvollzug in Betrieb genommen. Das Bässlergut I bietet seitdem Platz für 30 Häftlinge in Ausschaffungshaft und 43 Häftlinge im Strafvollzug. Parallel dazu wurde aus der ursprünglichen, angrenzenden Empfangsstelle für Asylbewerber*innen das heutige Empfangs – und Verfahrenszentrum (EVZ), welches Platz für bis zu 500 Menschen bietet. Diese beiden Entwicklungen gingen mit einer vermehrten Privatisierung einher. Die Privatfirma Securitas ist für die Sicherheit im EVZ sowie im Bässlergut zuständig. Im EVZ experimentiert zudem die Aktiengesellschaft ORS mit profitorientierter Betreuung. Dies zeigt sich etwa in der faktischen Zwangsarbeit zu 6.50CHF/2h der Insassen für private Firmen und deren Profit. Seit dem Frühjahr 2017 wird an der Erweiterung des Bässlergut I gebaut, welche Platz für 78 Häftlinge des Strafvollzugs bieten wird und Ende 2020 in Betrieb genommen werden soll. Die jetzigen Strafhaftplätze werden dann wieder zur Ausschaffungshaft genutzt, womit der Trennung und Kategorisierung der Häftlinge wieder nachgegangen wird. Es sind folglich momentan neue Knastzellen in Entstehung, welche in Zukunft mit Menschen gefüllt werden müssen und die repressiven Entwicklungen der vergangenen zwei Jahrzehnte weiter präzisieren.

Lager mit Sonderrechten

Das EVZ wird im Rahmen der Asylreform 2016 zukünftig in ein Bundeszentrum umgewandelt. Schweizweit sind 16 Bundeslager mit Platz für 5000 Personen geplant. Dabei wird zwischen Verfahrens-, Ausreiseund besonderer Zentren unterschieden. Im Ausreisezentrum wird die Ausschaffung vorbereitet, dafür sind mindestens 100 Tage vorgesehen und betroffen sind meist Menschen, welche auf Grund des Dublin-Abkommens in andere europäische Staaten abgeschoben werden sollen. Die zwei geplanten „besonderen Zentren“ sind spezi sch für sogenannte „renitente“ Asylbewerber*innen, wobei unbestimmt bleibt, ab wann unangepasstes Verhalten als renitent – also störend – betrachtet wird. In Verfahrenszentren werden Befragungen, Rechtsberatungen, Rückkehrberatungen sowie Unterbringung und Beschäftigung von Migrant*innen verwaltet. Die Zeit dieser Verfahren soll auf 140 Tage reduziert werden, allfällige Beschwerdefristen werden dadurch von 30 Tage auf 10 Tage minimiert. Durch die in der Aslygesetzrevision 2016 verankerte Konzentrierung der Asylbewerber*innen, sollen deren Anträge künftig ”effizient, kostengünstig und gerecht“ (Bundesrat) behandelt werden können. Die Effizienz, von welcher gesprochen wird, bedeutet in Realität, dass Migrant*innen in einem Lager konzentriert und isoliert werden. Durch die Beschleunigung der Verfahren wird die Kategorisierung von Migrant*innen in „erwünscht“ und „nicht-erwünscht“ radikaler und rücksichtsloser umgesetzt. Denn es wird schwerer den Kriterien zu entsprechen sowie sich einem juristischen Entscheid zur Wehr zu setzten. Hinzu werden Rückübernahmeabkommen mit Drittstaaten an Wirtschaftsabkommen gekoppelt (siehe Fiasko Nr. 1/2017), wodurch auch die Zwangsdeportationen aus dem Bässlergut I geschmeidiger ausgeführt werden können. Die kostengünstigeren Verfahren sollen durch die Zentralisierung von Personal und Infrastruktur erreicht werden. Für die Migrant*innen im Verfahren bedeutet das ein Alltag innerhalb des Lagers. Diese praktische Eingrenzung wird durch Stacheldrähte, Überwachungskameras und Ausgangskontrollen zusätzlich verstärkt. Auch die räumliche Nähe der unter-schiedlichen Bauten wiederspiegelt die Realität: Vom Verfahrenszentrum direkt in den benachbarten Ausschaffungsknast, vom Strafvollzug im Bässlergut II wegen illegalem Aufenthalt über einen eingebauten Korridor direkt ins Bässlergut I. Damit das letzte Kernkriterium der Reform der „gerechten Verfahren“ umgesetzt werden kann, wurden sogenannte unabhängige Jurist*innen hervorgehoben. Dass deren Unabhängigkeit zweifelhaft ist, wurde schon mehrmals festgestellt. Dabei sind die kurzen Beschwerdefristen, die räumliche Nähe der Jurist*innen zu Mitarbeiter*innen des Migrationsamtes und Pauschalbezahlung nur einige kritische Faktoren. Was jedoch selten angesprochen wird, sind die grundlegenderen Zusammenhänge Angefangen mit der blossen Existenz eines Ausländerrechtes. Ein Gesetz, welches seit 1934 existiert und sich nur an eine spezi sche soziale Gruppe richtet. Es ist folglich in seiner Existenz rassistisch und ausschliessend. Genau wie andere Teile des Schweizer Rechtes ist es geschaffen, um die Privilegien einzelner Personen und deren Eigentum zu schützen. Spricht man von den Rechten von Migrant*innen, werden diese immer nur dann gewährt, wenn sich ein ökonomischer Nutzen daraus ziehen lässt oder die Schweiz das Bild einer Nation, in der die Menschenrechte bedingungslos eingehalten werden, aufrechterhalten will. Hiermit beziehen wir uns auf einen häu gen Einwand, dass im Asylsystem ja die Menschenrechte berücksichtigt würden. Die Wirklichkeit ist vielmehr deren Instrumentalisierung. So unterstützen NGOs wie die Schweizerische Flüchtlingshilfe, Caritas Schweiz, Amnesty International, Heilsarmee, HEKS, Schweizerische Arbeitshilfswerk SAH und der Verband jüdischer Fürsorge diese humane Farce der Politik. Auf einer menschlichen, individuellen Ebene, können deren Unterstützungsleistungen durchaus die Situation einzelner Individuen beeinflussen und sollten dafür auch wertgeschätzt werden. Bei der Betrachtung auf einer strukturellen Ebene wird die Problematik dahinter jedoch rasch offensichtlich. Denn durch die Unterstützung, ob rechtlich oder alltäglicher Art, kann das Staatssekretariat für Migration (SEM) seine Verwaltung von Migrant*innen in eine humanitäre Farce hüllen. Wir sehen an den aktuellen Entwicklungen wie plötzlich die Freiheitsstrafe (im Verfahrenszentrum oder im Knast), der Zwang zur Arbeit in Beschäftigungsprogrammen, Isolierung und der Tod (ob auf der Flucht oder aus Ohnmacht in den Asylstrukturen) Teil einer „humanen Asylpolitik“ werden.

Freiwilligenarbeit / Sozialarbeit innerhalb den vorgegeben Strukturen des Lagers werden, wenn auch gut gemeint, Teil vom Lager. Sie werden einerseits in der öffentlichen Debatte helfen, das Lager als humaner Ort zu legitimieren. Anderseits übernehmen sie eine deeskalierende Funktion, in dem sie helfen, die „Eingelagerten“ zu besänftigen und von der Realität abzulenken. Solidarität ist enorm wichtig, sowie auch individuelle Unterstützung, doch sollte dabei eine Selbstre exion über die eigene Rolle bestehen und dementsprechend Wege gefunden werden, wie die Lagerstrukturen und somit die Isolierung und Fremdbestimmung aufgebrochen werden können. NGOs wie die Schweizerische Flüchtlingshilfe sind ein Beispiel für all diejenigen Organisationen, die die grundlegenden Probleme nicht ansprechen und bei der Ausgestaltung der Verwaltung des Elends beratend zur Seite zu stehen. Die neue Strukturierung der Schweizer Migrationspolitik zielt folglich darauf ab, Migrant*innen stärker zu konzentrieren, zu isolieren und zu verwalten. Die beschreibenden Schlagwörter von ”ef zient, kostengünstig und gerecht“ versuchen somit eine Lagerpolitik als demokratisch und fair zu verkaufen; in Wirklichkeit beschreibt es jedoch ein unterdrückendes und ausbeuterisches System. Abschliessend ist wichtig festzuhalten, dass dies durchaus nicht neue Tendenzen sind. Das Neue der aktuellen Entwicklungen ist nur, dass nun auch die Infrastruktur für die bereits vorhandenen Abläufe der Migrationspolitik gebaut wird. Diese Infrastruktur wird es noch schwerer machen, sich autonom zu bewegen, zu organisieren und selbstbestimmt zu leben. Während die Aggressivität der Behörde steigt, wird die Erfüllung der Vorschriften noch schwerer – und gegen Abweichungen konsequenter vorgegangen werden.

Exkurs: Lager

Die Bundeszentren erfüllen die Eigenschaften von allen Lagern. Diese Eigenschaften beinhalten die räumliche Konzentration einer spezifischen sozialen Gruppe sowie die Unterwerfung und Kontrolle derselben, was entweder die Re-Integration in die Gesellschaft oder die definitive Ausgrenzung / Wegweisung aus dieser zum Ziel hat. Dabei beschränken sich Lager nicht nur auf Migrant*innen, sonder auf diverse soziale Gruppen. So existieren in der Schweiz Lager für Menschen mit einer Behinderung, Menschen mit psychischer Erkrankung oder ältere Menschen; mit der selben Funktion des Ausschlusses wegen geringem ökonomischem Wert.

Das Aufleben der Freiheitsstrafe

Die aktuellen Entwicklungen betreffen jedoch nicht nur Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere. Mit der Erweiterung des Bässlerguts werden auch Haftplätze für Menschen im regulären Strafvollzug erstellt. Vorgesehen sind diese Plätze für kurze Haftstrafen bis zu einem Jahr. Das neue Sanktionsrecht, welches ab Januar 2018 in Kraft treten wird, sieht eine Lockerung bei der Aussprechung von kurzen Freiheitsstrafen von unter sechs Monaten vor. Dies soll zum Tragen kommen wenn die Gefahr besteht, dass der Täter / die Täterin erneut straffällig wird oder aufgrund der finanziellen Situation einer verurteilten Person anzunehmen ist, dass sie nicht in der Lage ist, der ausgesprochenen Geldstrafe nachzukommen. Diese Umwandlung von einer Geld – zu einer Freiheitsstrafe trifft in der Praxis oft bei einer Verurteilung aufgrund eines illegalen Aufenthaltes zu. Dabei übernimmt der Knast in unserer Gesellschaft eine abschreckende Funktion ein. Für viele Menschen reicht die Drohung / Möglichkeit eines Freiheitsentzug und die damit verbundene Konsequenz, für eine vom Staat festgelegte Zeit, komplett fremd verwaltet und jeglicher Autonomie beraubt zu werden, aus, um sich nicht gegen die bestehende Ordnung zu wehren und die eigene Position und Funktion in dieser Gesellschaft zu akzeptieren. Natürlich unterscheiden sich die Konsequenzen einer Haftstrafe und die Perspektiven am Ende der Strafzeit für Menschen mit Schweizer Papieren von denjenigen von Menschen ohne Schweizer Papiere, jedoch bleibt die gesellschaftliche Funktion des Knastes dieselbe.

Widerstand

Das Bässlergut wird seit seinem Bau von unterschiedlichen Personen aus dem Innern und von Aussen bekämpft. Rebellionen innerhalb des Gefängnisalltags in Form von Beleidigungen des Personals, Hungerstreiks oder Arbeitsverweigerung widersetzen sich der repressiven Praxis, während Aussen verschiedene Netzwerke die Gefängnispraxis beobachten, dokumentieren und vehement kritisieren. 2008 stifteten einige Häftlinge einen Brand und brachten damit ihre Wut zum Ausdruck. Als Folge wurden sie hart sanktioniert (z.B. mit Besuchsverbot). 2010 kam an die Öffentlichkeit, dass ein minderjähriger Mann nackt in Isolationshaft gehalten wurde. Der damalige Direktor musste seine Stelle daraufhin verlassen. Danach lief vieles „politisch korrekter“ ab, da Schikane und Unterdrückung jedoch der Freiheitsstrafe inhärent sind, nahmen diese dabei keineswegs ab. Weiterhin ermächtigen sich Häftlinge innerhalb des Bässlerguts selber, auch wenn der psychische Druck und Handlungsspielraum innerhalb der Mauern extrem stark lasten. Hungerstreiks, Drohungen, Verweigerung der Zwangsausreise und / oder der Knastarbeit sind auch heute Teil des täglichen Widerstands. Angeprangert wird dabei die Praxis der Isolationshaft (Menschen werden teilweise immer noch nackt eingesperrt), sowie die schlechte Nahrung und unzureichende medizinische Versorgung. All dies wurde durch Gespräche mit inhaftierten Menschen bekannt. Zudem ziehen seit Jahren kleine und grössere Demonstrationen vor das Bässlergut, Farbangriffe und Feuerwerke symbolisierten die Solidarität mit den Gefangenen. Das Bässlergut entwickelte sich dadurch zu einem Ort in Basel, an dem Menschen ihren Unmut gegen das bestehende System äussern, aber auch wo der Staat seinen „Freund und Helfer“ in Kampfmontur losschickt und damit seine Macht demonstriert. 2015 kam es im Rahmen einer Demonstration gegen die in Basel stattfindende Militärübung CONEX vor dem Bässlergut zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen einigen Demonstrant*innen und den Bullen, wobei Letztere entschlossen angegriffen wurden. Im Jahr 2016 gab es diverse Versuche, Ausschaffungen durch das Manipulieren des Eingangtors und das Blockieren der Einfahrt, direkt zu verhindern. Zudem gab es verschiedene Knastspaziergänge, wo sich die Menschen hinter und vor dem Gitter ihre gegenseitige Solidarität bekundeten und kurze Dialoge möglich waren. Seit dem Baubeginn von Bässlergut II im März 2017, gab es diverse Sabotageakte auf Kleinund Grossunternehmen, die sich direkt am Bau beteiligen und daran bereichern. Eine Demonstration mit dem Endziel Bässlergut, wurde von den Bullen nach einem misslungenen Kessel-Versuch aufgelöst. Doch kritische Diskussionen, Info-Veranstaltungen und praktische Aktionen werden damit nicht eingedämmt, sondern vielmehr verbreitet. Das Bässlergut wurde zu einem Ort, der viele Menschen und vielfältige Widerstandsformen vereint, um eine grundsätzliche Kritik an den aktuellen Entwicklungen und gesellschaftlichen Verhältnissen auszuüben. Denn es sind die drei ineinander verwobenen Ebenen der Verwaltung von Migrant*innen im Bundeslager und Einsperren in gesonderten Knästen, die Zunahme von Freiheitsstrafen im Strafvollzug sowie die Rolle humanitärer Organisationen, welche im Projekt Bässlergut klar ersichtlich werden. Neben dem Ort, wo Migrant*innen ankommen der Ausschaffungsknast, welcher wiederum mit einem Korridor zum Strafvollzug verbunden ist. Die Infrastruktur ist aufeinander abgestimmt, genauso wie ihre gesellschaftlichen Funktionen auch miteinander in Verbindung stehen: Menschen, die nicht der Norm entsprechen, welche nicht den ökono- mischen Nutzen erbringen oder sich gar dieser zu Wehr setzen, werden kriminalisiert, konzentriert und eingesperrt. Durch die breite Dimension der Entwicklungen um das Bässlergut, wird auch eine Palette von Widerstandsformen möglich und notwendig. Ob autonome Unterstützungsstrukturen, die Verbreitung einer grundlegenden Kritik, Druck auf ausführende Akteure oder andere Formen des Unmuts – wichtig ist, dass wir dabei laut, kreativ und störend bleiben!

Wir sind zwei Frauen, die in Basel aufgewachsen – und mit den Privilegien des Schweizer Passes grossgeworden sind. Durch persönliche Kontakte und eigene Erfahrungen sind wir wütend über die herrschenden Zustände und auf die Gesellschaft, von der wir selbst ein Teil sind.

Prozess in Paris – solidarische Messerstecherei in Basel

gefunden auf barrikade

Frühling 2016 in Frankreich: Im Zuge einer angekündigten Arbeitsmarktreform gehen in verschiedenen Städten tausende Menschen auf die Strassen, besetzen, blockieren, streiken, attackieren die Bullen und demolieren die Strukturen der Macht. Einige um für ihre Rechte innerhalb der Lohnsklaverei zu kämpfen, andere machen sich weniger Illusionen, wissen, dass es in dieser Welt der Arbeit und Gesetze nichts zu verteidigen gibt und gehen direkt zum Gegenangriff über. Am 18. Mai 2016, als die Bullen auf dem Place de la République gegen die Gewalt gegen die Polizei demonstrieren, wird eines ihrer Autos auf dem quai de Valmy in Brand gesteckt. Im Nachgang werden verschiedene Menschen angeklagt, einige sitzen über Monate hinweg im Knast, eine seit mehr als einem Jahr. Vom 19. Bis zum 22. September findet nun der Prozess in Paris gegen neun Personen statt, wobei eine angeklagte Person nie ausfindig gemacht werden konnte.

Mit dem im Hinterkopf sind wir in den letzten Tagen mit schlechten Absichten losgezogen und haben bei folgenden Firmenfahrzeugen die Reifen zerstochen:

  • Bouygues: Dieser Konzern baut und verwaltet vor allem in Frankreich Knäste und Abschiebelager. Weiter beteiligte sich dieses Unternehmen auch am Bau vom Nanotech-Center in Grenoble, bewacht die Protected-Site (Gentech-Freilandversuch) in der Nähe von Zürich, ist Teil von Medienunternehmen usw… Für diejenigen, die mehr über diesen Konzern und seine Tentakel wissen wollen, empfehlen wir einen Artikel in der 1. Ausgabe der Rhizom.
  • Adecco: Arbeitsvermittlungsbüro. Weil „die Arbeit für das Leben das ist, was das Erdöl für das Meer ist“ wie das ein Flyer, der während dieser Zeit verteilt wurde, so schön formulierte.

Weiter nach Saint-Louis, Frankreich (wir lassen uns weder in unseren Gedanken noch Taten von den Grenzen aufhalten):

  • Ein Auto des Conseil départemental du Haut-Rhin: Verwaltung. Wir verachten ganz einfach die Autorität.
  • Enedis: Französische Elektrizitätsfirma, die immer wieder Ziel von Angriffen geworden ist aufgrund ihrer Beteiligung am geplanten Atomklo in Bure oder wegen der Installation von Linky, einem intelligenten Stromzählungssystem. Die Überwachung und Kontrolle ist auf dem Weg in unsere Wohnungen.

Dies bringt uns wieder zurück nach Basel:

  • Siemens: Für ihre Arbeit zugunsten der ausgeweiteten Überwachung, zum Beispiel vernetzte Überwachungssysteme, Gesichtserkennung…
  • ABB: Ein führender Energie- und Automatisierungskonzern, der seine Roboter im Dienste des Kapitalismus auf der ganzen Welt verteilt hat und den Menschen selbst lieber als Maschine sehen würde.
  • Zum Schluss noch je ein Auto von Implenia, Alpiq und der EAGB, die sich alle am allseits unbeliebten Ausbau des Bässlerguts beteiligen.

Die Formen und Strukturen der Überwachung, Kontrolle und Einsperrung sind überall. Lasst es uns auch sein.

So. Genug gesagt. Auf zu weiteren Taten.


Schön wie ein brennendes Bullenauto

gefunden auf attaque

Dieses Plakat wurden in Solidarität mit den beiden Gefährt*innen Kara und Krème, die immer noch in Fleury-Mérogis wegen der Affäre « Quai de Valmy » (Brandanschlag auf ein Bullenauto am 18. Mai 2016 in Paris) inhaftiert werden, auf den Strassen von Saint-Malo, Rennes, Paris, Clermont-Ferrand, Dijon und Besançon aufgeklebt:

Schön wie ein brennendes Bullenauto

Frühjahr 2016: Die Wut auf der Straße erschüttert dieses resignierte Land, wie das seit mehr als zehn Jahren nicht mehr geschehen ist. Ein weiteres Gesetz, das eine unserer Ketten – die Lohnsklaverei – noch kürzer macht, ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, ein Fass voller Ausbeutung, Ausnahmezustand, polizeilicher Allmacht, der Paranoia, des virtuellen Lebens und einer versprochenen Zukunft, die allzu sehr dieser düsteren Gegenwart gleicht. Die Städte Frankreichs werden von zerstörerischen Demos durchzogen, kurze Momente des Lebens bilden sich auf der Zerstörung dessen, was uns jeden Tag unterdrückt.

Am 18. Mai 2016 antwortet eine wilde Demo angemessen auf eine Versammlung der Bullen in Paris, die darüber klagen, dass die ganze Welt die Polizei hasst. Ein Streifenwagen der Polizei wird angegriffen, die Fenster eingeschmissen, einer der beiden Bullen steckt ein paar Schläge ein und dann fäng der Polizeiwagen an zu brennen. Sofort nach diesem Angriff und während des folgenden Jahres werden neun Personen wegen diesem Freudenfeuer angeklagt. Einige von ihnen verbrachten ein lange Zeit in Haft, während eine andere unauffindbar für die Justiz bleibt. Alle werden vom 19. bis zum 22. September 2017 vor Gericht in Paris kommen.

Beide Anarchist*innen, Kara und Krème, befinden sich derzeit noch immer in Haft.

Unsere Gedanken richten sich insbesondere an sie, weil wir den Traum einer Welt der Freiheit teilen, in welcher die Polizei, sowie jede Autorität und alles, was die umfassende und unteilbare Freiheit aller Individuen hemmt, nur noch eine alte Erinnerung ist.

Weil die Polizei im Dienste der Reichen und der Mächtigen steht und dies ihre Existenzberechtigung ist.

Weil es keine gute Polizei geben kann. Die Polizei demütigt, sperrt ein, vergewaltigt und ermordet tagtäglich.

Weil wir viele sind, die die Polizei hassen, auch wenn es nicht immer aus Liebe für die Freiheit Aller ist.

Weil wir uns den Unterdrückern und ihren Dienern in Uniform (die nicht immer
blau ist) auf verschiedene Weise widersetzen können…

Weil ein brennendes Bullenauto ein guter Anfang ist, führen wir die Feindseligkeiten also weiter!

Feuer und Flammen für diese Welt der Autorität!

Freiheit für Kara und Krème!
Freiheit für alle!

Steenokkerzeel, Belgien: Kleiner Aufruhr im Centre 127 bis für Ausländer

übersetzt von rtbf.be

Ein kleiner Aufruhr ist am 25. August im geschlossenen Zentrum für Ausländer 127 bis in Steenokkerzeel ausgebrochen. Etwa ein dutzend Personen verursachten Schäden im Speisesaal, zerschlugen den Fernseher, Heizungen und andere Gegenstände.

Gemäss der Ausländerbehörde handelte es sich um Personen, deren Aufenthalt im 127 bis kürzlich verlängert wurde, diese allerdings mit ihre Freilassung gerechnet hatten. Die Situation sei unter Kontrolle. Eine Person wurde in Isolation verlegt.

Eine Frist von 8 Monaten, erneurbar im Falle von Rebellion
Die im geschlossenen Zentrum Eingesperrten sind abgewiesene Asylbewerber. Am Ende des Verfahrens bekommen sie eine Anordnung, dass sie das Territorium verlassen müssen. Die illegalen Ausländer werden, wenn ihre Personalien überpüft werden (meistens in der Folge einer Polizeikontrolle), in ein geschlossenes Zentrum gebracht, wo sie auf die Abschiebung in ihr Herkunftsland warten. Das Gesetz legt eine Maximaldauer der Haft in einem geschlossenem Zentrum von 8 Monaten fest. Wenn ein Ausländer aber angesichts einer Rückführung rebelliert, beginnt diese Periode wieder von Neuem. Nach unseren Information ist der Krawall ausgebrochen, als ein Marokkaner in den Kerker gebracht werden sollte und dieser dann anfing, den Speisesaal zu plündern. Der Mann möchte seit Tagen zurückgeschafft werden, um dem Begräbnis seines Bruders und Vaters, die vor kurzem verstorben sind, beizuwohnen. Als er erfuhr, dass sein Aufenthalt im Zentrum verlängert wurde, sind ihm „die Sicherungen durchgebrannt“ und hat sich am Speisesaal zu schaffen gemacht. Andere Häftlinge haben dann ebenfalls angefangen zu rebellieren. Einige haben beschlossen, einen Hungerstreik zu machen.

Die Polizei vor Ort
Gegen 14 Uhr sind Anti-Riot-Cops mit Hunden ins Zentrum eingedrungen. Gemäss einem Zeugen haben die Polizisten einen der „Randalierer“ geschlagen und verhaftet. Dieser war gegenüber der Direktion ein Sprecher der Gruppe und klagte die prekären Bedingungen an: schlechtes und zu wenig Essen, übelriechende Toiletten, etc. Die Polizei konnte die drei Personen, die als Anführer des Krawalls ausgemacht wurden, isolieren und in andere geschlossene Zentren verlegen.

Jyväskylä, Finnland: Versuchte Blockade einer Ausschaffung

übersetzt von yle.fi, via dialectical delinquents

Die Polizei ist am Montag Nachmittag (04.09.17) in Zentralfinnland mit einer Gruppe Demonstrant_innen zusammengestossen, als Beamte eine Ausschaffung einer jungen Familie aus Afghanistan durchsetzen wollten, die in einem Asylzentrum in Jyväskylä untergebracht waren. Die Familie sollte gegen Mittag von der Einrichtung abgeholt werden. Das Ganze dauerte dann allerdings sieben Stunden und verursachte den Einsatz von dutzenden Beamten in Riot-Uniform, die Pfefferspray und brutale Gewalt einsetzte, um die wachsende Anzahl Demonstrant_innen abzuwehren.

Aufgrund einer Gruppe, die sich den Beamten in den Weg stellte, die eine Ausschaffung durchsezten wollten, mussten gegen Nachmittag zusätzlich sieben Polizeieinheiten gerufen werden. Einige Beamte versuchten die Situation mittels Verhandlungen und Gesprächen zu entschärfen. Nachdem die Gespräche allerdings keine Verbesserungen versprachen, trafen später am Nachmittag dutzende Polizisten in Riot-Uniform und weitere Polizeifahrzeuge ein.

Vor Ort aufgenommene Videoaufnahmen zeigen Beamte, die Pfefferspray und physische Gewalt einsetzten, um die Demonstrant_innen auseinanderzutreiben, die die Strasse blockierten und „no deportations“ schrien.

Zwei Demonstranten wurden vorübergehend festgenommen – einer wegen Ungehorsam gegen Beamte und ein anderer wegen ungeordnetem Verhalten. Die Polizei meldete ebenfalls, dass es zu keinen materiellen oder menschlichen Schäden gekommen sei.

Die afghanische Familie – Vater, Mutter und ein acht Monate junges Baby – wurde dann am frühen Abend von der Polizei mitgenommen.

Calais, Frankreich: Zusammenstösse zwischen Migranten und der Polizei

übersetzt von brèves du désordre

Etwa 50 Migranten profitierten am Samstag (02.09.17) von einen Stau, um in die Lastwagen auf der Autobahn zu klettern, was zu einem Eingriff der Polizei führte, die die Gruppe auseinandertrieb.

„Unsere britischen Kollegen haben dieses Wochenende, an dem wir 9000 Fahrzeuge beim Eurotunnel und 7500 beim Hafen erwarteten, nur 9 von 14 Fahrtspuren geöffnet“, erklärte der Unterpräfekt Jean-Philippe Vennin.

Als die CRS eingriff kam es zu einem „Katz- und Mausspiel“ sowie zum Einsatz von Tränengas, um die Migranten auseinanderzutreiben. Drei Polizisten wurden durch Flaschenwürfe verletzt. Diejenigen, die in die Lastwagen gelangten, wurden von den Beamten, dank den Signalisierungen der Autofahrer, hinausgejagt.

Die Versuche während den Tagen mit starkem Verkehr, nach England zu kommen, seien zur Normalität geworden. Vor der Räumung des „Jungle“ im Oktober 2016 kam es sogar häufig dazu. Bereits in der Nacht zuvor mussten drei Strassensperren auf der A16 geräumt werden, sagte eine Quelle.


Seit Mai-Juni steigt die Zahl der Migranten, die, besonders in der Nacht, in den Lastwagen entdeckt werden, wieder an. Nach den Zahlen von UNSA-Police wurden im Mai 250 Fahrzeuge, im Gegensatz zu 190 im April, „positiv“ (also mit darin gefundenen Migranten) kontrolliert. Seit Mai sind die Zahlen weiter gestiegen: 280 im Juni, 350 im Juli und 230 bis zum 24. August. Im April wurden 700 Migranten in den Lastwagen entdeckt, im Mai 1000, im Juni 1100, im Juli 1250 und bereits 900 bis zum 24. August.

 

Brandanschlag auf Implenia in Weil am Rhein

gefunden auf barrikade.info:

In der Nacht vom 4. auf den 5. September 2017 haben wir in Weil am Rhein am Bahnhof eine Baumaschine von Implenia angezündet. Dabei entstand ein Sachschaden von mehreren zehntausend Euros. Diesen Brand sehen wir als Beitrag zum Kampf gegen die Erweiterung des Gefängnisses Bässlergut beim Zoll Otterbach in Basel. Implenia übernimmt bei diesem Umbau die Bauleitung. Seit März 2017 wird bis 2020 an einer Erweiterung neben dem bestehenden Gefängnis gebaut. Das neue Gebäude wird 78 Haftplätze für Strafgefangene enthalten, womit das bisherige Gefängnis zu einem kompletten Ausschaffungsgefängnis umfunkioniert wird. Die Kapazitäten an Straf- und Ausschaffungshaftplätzen erhöhen sich. Weil wir darin keinen Gewinn, sondern einen Verlust an Sicherheit für die Menschen sehen, kämpfen wir dagegen an. Der Gefängnisbau ist Teil einer Logik, die davon ausgeht, dass andere Leute über unser Leben bestimmen, um eine Welt aufrecht zu erhalten, die auf Ausbeutung und Unterdrückung basiert.

Gefängnisse im Nationalstaat
Unser Kampf gegen die Erweiterung des Gefängnises Bässlergut geht von einer grundlegenden Kritik der Ein- und Ausschlussinstitution Gefängnis und den damit zusammenhängenden repressiven Entwicklungen aus. Wir trachten nach einer Welt, in der es nicht mehr Praxis (und auch nicht mehr „erforderlich“) sein wird, Menschen einzusperren. Damit meinen wir nicht nur Gefängnisse, sondern in abgeschwächter Form genauso all die anderen Lager, welche bestimmte soziale Gruppen isolieren und konzentrieren. Solche Lager existieren überall auf der Welt, als hätten sie nicht eine höchst problematische Geschichte und Funktion.

Zunächst ist unsere Kritik eine anarchistische. Wir werden in einer Gesellschaft sozialisiert, in welcher der Staat als legitimer Verwalter unserer aller Leben unhinterfragt akzeptiert wird. Die Aufgabe, die Sicherheit aller Gesellschaftsmitglieder zu garantieren, gilt der Institution Gefängnis, indem versucht wird, sogenannt „kriminelle“ Subjekte wegzusperren und zu disziplinieren. Dass das Gefängnis historisch gesehen darin noch nie besonders gut war, zeigt sich in seiner über 200-jährigen Geschichte, in der es wohl mehr Delinquenz gefördert als verhindert hat. Noch heute können Menschen als Kleinkriminelle ins Gefängnis gehen und als organisierte Delinquent_innen voller neuer Kontakte, Strategien, Techniken und Ideen wieder raus kommen.

Funktionen des Gefängnisses
Darum geht es allerdings nicht. Denn der liberale Nationalstaat ist keinesfalls ein neutraler Akteur, der bloss im Interesse der Gesellschaft die soziale Ordnung aufrecht erhält, in dem er die Freiheit einzelner einschränkt (auch wenn wir selbst diese Vorstellung ablehnen müssten, da sie von der Annahme ausgeht, dass Menschen eine übergeordnete Macht benötigen, um friedlich untereinander leben zu können).
Es ist noch viel schlimmer: Der Staat wahrt eine soziale Ordnung gewaltsam, die auf Unterdrückung und Ausbeutung beruht und von welcher der Staat und seine Vertreter_innen selber profitieren. Staaten sind unserer Ansicht nach ein Herrschaftsverhältnis, das den Interessen der Mächtigen und Reichen dient.

In diesem Umfeld übernimmt das Gefängnis verschiedene Aufgaben. Es befriedigt einerseits die nach mehr „Sicherheit“ fordernden Rufe, in denen es Menschen, welche gegen die bestehenden Gesetze verstossen, einsperrt und den „nicht-kriminellen“ ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Dadurch galt das Gefängnis lange als eine Art Lösung für alle Probleme. Viele unterschiedliche Strafformen sind zugunsten der Gefängnisse abgeschafft worden. Unabhängig der Ursache des Deliktes, wird die Wegsperrung der Delinquent_innen gefordert und so steigt die Illusion von Sicherheit, sobald diese Menschen hinter Gefängnismauern sitzen.
Andererseits dient es als Abschreckung. Menschen sollen die Übertretung, den Ungehorsam oder auch den bewussten Gesetzesbruch nicht ausüben, denn am Ende einer langen Reihe verschiedener Disziplinierungs- und Repressionsmassnahmen steht das Gefängnis. Das Gefängnis, ein Ort, wo Menschen weggesperrt, ihren früheren Leben, ihren Beziehungen und jeglicher Autonomie beraubt werden; ein Ort, an dem ihnen alles genommen wird.

Sozialer Krieg gegen die Armen
Ferner ist das Gefängnis Ausdruck einer ständig vorhandenen Spannung zwischen den Reichen und Mächtigen auf der einen und den Armen und Ausgegrenzten dieser Welt auf der anderen Seite. Dies zeigt sich aktuell beispielsweise anhand ganz spezifischer Entwicklungen im schweizerischen Asyl- und Rechtswesen. Als Folge der Restrukturierung des Asylwesens bis 2019, werden die Verfahren zentralisiert und in sogenannten „Bundeszentren“ alle Verfahrensschritte durchgeführt werden. Ob es einen positiven oder negativen Asylentscheid gibt, wird innerhalb von höchstens 140 Tagen entschieden. Menschen, die den Asylanforderungen nicht entsprechen, weil sie beispielsweise über ein anderes Dublin-Land eingereist sind, werden bereits in den Bundeszentren einen negativen Asylentscheid erhalten und sogleich in Ausschaffungshaft überführt. Die Überwachung und Kontrolle von Asylbewerber_innen wird mit den Zentren weiter verstärkt und die Verwalter_innen in den beteiligten Departementen glauben, so das „Abtauchen“ von Menschen verhindern zu können. Diese Revision schränkt die Bewegungsfreiheit von Migrant_innen noch weiter ein und unterstützt zudem die Lagerisierung so vieler weiterer Leben.

Mit der Realisierung der Asylgesetzrevision steigt der Bedarf an Administrativhaftplätzen, in denen Menschen ohne strafrechtliche Verurteilung in Ausschaffungshaft genommen werden. Deswegen sollen die Kantone bis Ende 2018 700 neue Haftplätze schaffen. Auch die Erweiterung des Bässlerguts ist Teil dieser Entwicklung. Durch das neue Gebäude wird das gesamte bestehende Gefängnis in Administrativhaft und damit in Ausschaffungsplätze umgewandelt.

Durch den starken Anstieg kurzer Haftstrafen steht der Neubau eines Gefängnisses für herkömmliche „Strafhäftlinge“, in direktem Zusammenhang. Der Kanton selbst betont in einem Schreiben an den Grossen Rat, dass die kurzen Haftstrafen von 1-6 Monaten vervierfacht und diejenigen von 6-12 Monaten verdoppelt werden. Dies hat unterschiedliche Gründe: Vermehrt sitzen Menschen ihre Bussen, welche sie nicht bezahlen können, ab. Dies betrifft beispielsweise einfache Eigentumsdelikte oder den Verstoss gegen Ausländerregeln wie der sogenannte „illegale Aufenthalt“.

Die Gefängnisse füllen sich mit Armen und Migrant_innen, welche sich entweder einfach frei bewegen, hier leben oder dieselben Privilegien geniessen wollen. Das Gefängnis ist somit, bis auf einige Ausnahmen, ebenso wie das Polizei- und Justizwesen als Teil des Krieges des Staates (und damit der Reichen und Mächtigen) gegen die Armen und Ausgegrenzten zu verstehen. Die Gefängnisse sind gefüllt mit Menschen, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft entweder in die sogenannte Kriminalität „abrutschen“ oder aber sich zu guter Recht etwas davon zu nehmen versuchen, was ihnen verwehrt wird. Häufig trifft beides genauso zu.

Widerstand und Suizid
Seit der Etablierung und Entwicklung der modernen Gefängnisse sind diese von Widerstand begleitet. Auch das Bässlergut wird seit seiner Entstehung durch verschiedene Formen von Widerstand gegen die Wärter_innen und gegen die Institution bekämpft. Das kann vom Vermeiden des Blickkontakts mit den Wärter_innen, über die Verweigerung und den Hungerstreik bis zum Anzünden der eigenen Zelle gehen. Die meisten Akte des Widerstands sind für die Mehrheit der Bevölkerung unsichtbar und werden es auch immer bleiben: weggesperrt hinter hohen Mauern und NATO-Draht. Wir sehen uns als Teil dieses Widerstands, den wir je nach Situation von innen oder von aussen führen.
Im Gefängnis zu sitzen und jeglicher Selbstbestimmung beraubt zu sein, ist eine enorme psychische Belastung, weswegen Suizidalität stark verbreitet ist. In dem neu gebauten Vorzeigeobjekt Gefängnis Muttenz haben sich vor kurzem mehrere Menschen das Leben genommen. Dies ist im Bässlergut wohl deswegen noch nicht geschehen, weil die Gefängnisleitung mit äusserst starker Unterdrückung gegen Anzeichen von Suizidalität vorgeht: Wird ein Gefangener bei einem Suizidversuch „erwischt“, wird er häufig nackt in Isolationshaft, dem sogenannten „Bunker“ überführt: Ein leerer, kleiner und fensterloser Raum ohne Kontakt zu anderen Menschen ausser denjenigen, die einen eingesperrt haben. Um die Häftlinge am Leben und die Administrativhäftlinge fit genug für die Ausschaffung zu halten, ist der Gefängnispsychiater sehr freizügig mit der Vergabe von Beruhigungsmitteln und Psychopharmaka. Dabei ist es nicht erstaunlich, dass die Mithäftlinge Suizidversuche häufig geheim halten: Sie wollen ihren Freunden die Tortur ersparen. Meist bräuchte es nicht viel, um den psychischen Problemen zu begegnen: Das Öffnen der Türen wäre in jedem Fall ein Minimum.

Märchen von Sicherheit
Sogenannte „Sicherheit“ ist nur möglich in einer gerechten und solidarischen Gesellschaft, welche auf die Herrschafts- und Ausgrenzungsmechanismen verzichtet, welche die heutige Welt prägen. Deswegen verstehen wir Gefängnisse und insbesondere das Bässlergut als eine Gefahr und einen Feind von Sicherheit. Auch weil unser Kampf für die Freiheit und gegen die Ausbeutungsmechanismen unsere eigene Sicherheit bedroht. Wie so viele Widerständige vor uns werden wohl auch wir eines Tages im Gefängnis landen, wenn wir diesen Text nicht bereits aus dem Gefängnis schreiben.

Weswegen greifen wir nun die Firmen, welche die Aufträge angenommen und sich am Gefängnisbau beteiligen, an? Es gibt sicherlich auch andere Möglichkeiten, sich gegen so ein Gefängnis zu wehren. Jedem und jeder ist es selbst überlassen, andere Mittel zu wählen. Für uns stehen diese Unternehmen jedoch exemplarisch für eine Welt, in der viel zu wenig über Strukturen wie Lager oder Gefängnisse geredet wird und solche Gebäude widerstandslos gebaut werden. Die am Bau des Bässlerguts beteiligten Firmen schlagen Profit aus der Unterdrückung von Menschen und sind dadurch mitverantwortlich für den Erhalt eben dieser Strukturen. Sie haben sich bewusst dafür entschieden, diese Arbeit auszuführen und sind damit zu einem angreifbaren Ziel geworden. Es bleibt dabei: Alle Firmen können sich jederzeit aus dem Auftrag zurückziehen, womit sie dann keine Zielscheibe mehr wären. Das würde auch ihre eigene Sicherheit erhöhen.

Wir erhoffen uns von diesem Akt der Sabotage auch eine Debatte über die Art, wie unsere Gesellschaft organisiert ist. Viel zu wenig wird grundsätzlich darüber geredet, in was für einer Welt wir eigentlich leben und leben wollen. Unterdrückungs- und Ausbeutungsstrukturen können sichtbar gemacht und in verschiedenen Formen angegriffen werden. Diese Aktion ist eine dieser Formen und ermöglicht uns, die eigene Kritik in eine Praxis zu übertragen und gleichzeitig eine Auseinandersetzung zu den hier erwähnten Fragen zu haben.

Wir wollen kein humaneres Gefängnis, wir fordern nicht bessere Haftbedingungen. Wir wollen keine faireren Richter_innen oder eine zuverlässigere Justiz. Wir kämpfen für eine freie, gerechte Welt ohne Richter_innen, Chef_innen und Wärter_innen. Eine solche Welt ist für uns nur denkbar mit der Abschaffung von Gefängnissen, Justiz und dem Staat.

Wir sind Teil des Widerstands gegen die Einschliessung und Fremdbestimmung von Menschen. Wir erklären uns solidarisch mit allen Knastkämpfen weltweit, seien es die revoltierenden Refugees von Moria auf Lesbos, die Gefangenen des G20 in Hamburg oder die Hungerstreikenden in den türkischen Kerkern.

Zu jeder Zeit und an jedem Ort für eine Welt ohne Knäste und Paläste.
Bässlergut einreissen!

Basel: Zivilauto der Basler Polizei angezündet

gefunden auf barrikade

03. September. Auch dieses Feuer steht im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Ausbau des Bässlerguts. Vor lauter Baufirmen kommt unserer Meinung nach die Rolle der Polizei viel zu kurz: Sie sind diejenigen, die, auch mit Racial Profiling, die Leute in den Strassen jagen und das Gefängnis füllen.

No Cops! No Police Control!
Auf einen heissen Herbst.


In der Nacht auf Montag (04.09.17) brannte dann erneut ein Auto in der Johanniterstrasse in Basel. Wie ein Augenzeuge in der Zeitung 20min berichtet, handelte es sich dabei vermutlich um ein Firmenfahrzeug der Swisscom.