Eine Illusion: Die Herrschaft des Niemands
Was bedeutet es, etwas zu sagen? Was bedeutet es seine Ideen auszudrücken? Was sind die Konsequenzen – die Konsequenzen für uns selbst, für unser Handeln?
Machen wir ein Beispiel: Eine rechte Politikerin spricht sich auf einem Podium dafür aus, den Schießbefehl an deutschen Außengrenzen auszurufen. Entrüstung. Rage. Skandal. Den Flüchtlingsstrom wolle man auch stoppen, aber doch nicht so. Eine andere Politikerin, mit mehr Ansehen und in höchster Position, stets bekannt für nüchterne und fachkundigen Entscheidungen, schließt ein Abkommen, welches die Internierung, Abschiebung und Verteilung zigtausender Geflüchteter anpeilt. Kurze Zeit darauf hört man, dass an der Grenze des Landes, mit welchem besagtes Abkommen abgeschlossen wurde, Soldaten auf flüchtende Menschen schießen. Eine Randnotiz – und ebenso die direkte Konsequenz einer politischen Entscheidung. Eine Politikerin, die das Schießen in direkten Zusammenhang mit ihrer Politik stellt, ist eine Provokation; eine, bei der das Schießen ein kaum wahrnehmbares, tödliches Nebenprodukt ist, ein Unschuldsengel.
Wenn ein Politiker Entscheidungen fällt, dann werden diese ausgeführt – durch Andere. Wenn ein Soldat schießt, dann auf Befehl. Doch die Verantwortung für das Abfeuern der Kugel, für den Tod, trägt stets nur der, so scheint es, der den Abzug drückt. Was gesagt wird, ist eine Sache und was getan wird, so sagt man uns, eine Andere. Es wird eine Grenze gezogen, die die Tat von dem ihr vorausgegangenen Gedanken trennt. Im Bereich der Meinungen darf man jede Position vertreten, sich auszusprechen ist stets erlaubt. Ja gerade dadurch, dass die Politik allen die Möglichkeit gibt sich auszusprechen und sich auch mit „extremen“ Positionen auseinander bzw. an einen runden Tisch setzt, zeigt sie, wie Demokratie funktioniert. Die Worte sind Abstraktionen und werden toleriert. Doch wenn sie die Möglichkeit des direkten Handelns in Erwägung ziehen, sind sie nicht mehr nur Meinungen, sondern auch Ideen, die einen Drang nach Realisierung in sich tragen. Wer direkt handelt, seine Ideen selbst in die Tat umsetzt, ohne eine Abstimmung oder Erlaubnis zu benötigen, macht sich zum Verbrecher an der Demokratie. An der Politik der Mehrheit, die verhandeln, intrigieren und Kompromisse finden will. An der Politik der Trennung und Hierarchie, in der nur die Spezialisten und Befehlsempfänger die Erlaubnis zum Handeln haben. Zum Verbrecher am Gesetz, das nur das Reden über Ideen, aber nicht deren Umsetzung erlaubt.
Die Gesetzlose übernimmt die Verantwortung für ihre Ideen und setzt sie selbst, mit den dafür nötigen Mitteln und Komplizen, um. Sie hebt die Trennung zwischen Politik und Realität auf, da sie denken und diskutieren kann, ohne seriöse Worte finden zu müssen, ohne mit Fachstäben von Experten und Unterschriftenlisten die Mehrheit überzeugen zu müssen. Um zur Handlung zu schreiten, braucht sie keine gehorsamen Armeen, keine Lakaien und Diener, nein, sie verachtet sie, und ihre hündische Unterwürfigkeit, das Denken stets anderen zu überlassen. Sie verbindet Wort und Tat. Nicht nur im eigenen Denken und Handeln, auch im Knüpfen und Erkunden von Zusammenhängen und Verantwortlichkeiten, die sie scheinbar nicht betreffen.
Wir tragen nicht nur die Verantwortung für das, was wir denken, tun und befehlen, sondern auch für das, was wir vergessen, nicht tun und nicht aussprechen. Der Journalist, für den es nur eine Randnotiz wert ist, dass ein Schiffswrack mit Hunderten Leichen Geflüchteter geborgen wird, nimmt eine klare Position ein, eine Position, die das Nicht-Handeln-Wollen als Konsequenz trägt. Die Expertin, die meint, dass die Zahlen Geflüchteter zurück gehen, weiß, dass ihrer Statistik nicht zu entnehmen ist, wie viele Schwarzafrikaner auf dem Weg nach Europa ohne Angaben von Gründen in Nordafrika inhaftiert und verfolgt werden. Ein politisches Kalkül, für das allein sie die Verantwortung trägt. Für jeden der 2640 Momente, in denen eine US-Bürgerin in den letzten zwei Jahren von der Ermordung Dunkelhäutiger durch die Polizei erfuhr, und rein gar nicht reagierte, trägt sie die Verantwortung, dass die Ermordung des 2641. Schwarzen ebenso als normal und gewöhnlich erscheint. Eine Normalität, die uns vorlügt, dass wir nicht die Verantwortung dafür tragen zu handeln, die uns daran gewöhnt, dass wir unfähige Nichtsnutze sind, die ihr Häppchen zurecht geknetete Realität jeden Tag auf dem Silbertablett mitsamt der To-Do- Liste und der Rechnung geliefert bekommen.
Die Illusion, dass die Herrschaft durch den Lauf der Dinge, irgendeinen Gott oder den Aktienkurs aufrechterhalten wird, also eine Herrschaft des Niemands ist, durchbrechen wir, indem wir Verantwortung dafür übernehmen, permanent das Geschäft derjenigen zu sabotieren, die dafür verantwortlich sind, dass es permanent so läuft, wie es läuft. Und sei es, ob ihre Verantwortung darin liegt, Schießbefehle zu geben, diese schön zu reden, über sie nicht zu reden, sie auszublenden, oder gar durch die Produktion und Konstruktion der Waffen Profite zu machen. Von der Verantwortung derjenigen Kriegstreibern wie der Bundeswehr, die in ihrem Werben versuchen jeden Zusammenhang von Realität und den sie umschreibenden Worten zu untergraben, indem sie uns auf Camouflage-farbenen Werbetafeln erklären, für die Freiheit und gegen Kriegstreiber zu kämpfen, gar nicht zu reden. Hier liegt die Verantwortung in der reinen Zerstörungskraft von Wort und Tat zu zeigen, dass Freiheit nur dort existieren kann, wo mit jedem Krieger, sei er von Gott oder dem Staat, als Feind verfahren wird. Und mehr als eine Momentaufnahme, nämlich ein fortbestehendes Ergebnis intensiver Beziehungen, kann Freiheit nur dort sein, wo niemand darauf wartet, dass es andere für ihn erledigen, seine Gedanken in die Tat umzusetzen, um die Kriegstreiber von Gott und Staat unverzüglich zu attackieren.
Gewalt und gewalttätige Verhältnisse
Gewalt. Ausgehen darf sie nur von dem „durch das Volk legitimierte“ staatliche Gewaltmonopol. Denn wer sich unberechtigterweise anmaßen sollte zu diesem Mittel zu greifen, überschreitet die eigene Befugnis. Die lächerliche Befugnis, sich Tag für Tag demütigen und ausbeuten zu lassen, alles runterzuschlucken, ohne mit der Wimper zu zucken oder darauf zu reagieren. Dieser latente Zustand ist ebenso Gewalt. Wer sich auf Papa Staat verlässt und nach ihm schreit, um sich (durch die Polizei) verteidigen zu lassen oder sich (durch die Justiz) zu wehren/zu rächen, der gibt sein Leben vollständig aus der eigenen Hand.
Wenn in Bautzen Geflüchtete anfangen sich zu wehren gegen die tägliche Erniedrigung, die Beleidigungen, die unzähligen Angriffe durch fromme deutsche Bürger und Nazis und das nicht nur verbal bleibt, dann schreit das ganze Land auf und ganz besonders der Staat, dem sein ach so gehütetes Gewaltmonopol zeitweise entzogen wird. Um so mehr, da sich der Widerstand der Geflüchteten beim Eintreffen der Bullen wohl auch gegen diese richtete. Die Details dieser Auseinandersetzung werden gerade von den verschiedensten Medien verdreht, verfälscht, für ihre Zwecke genutzt und ausgeschlachtet, deswegen ist es für uns nicht wichtig, wie alles genau vor sich ging oder wer angefangen hat. Auch ist klar, dass der Staat und die Bullen wieder einige „Rädelsführer“ unter den Flüchtlingen erfinden mussten, um nun möglichst krasse Exempel zu statuieren, diese von den anderen zu isolieren und somit andere, in einer ähnlichen Lage davon abzuhalten, sich von dieser Wut und diesem Widerstand inspirieren zu lassen. Um sich der Lage zu bemächtigen und sie zu deeskalieren wurde jetzt eine Ausgangssperre ab 19 Uhr für die Bautzener Flüchtlingslager verhängt – einfache, kontrollierte Konfliktlösung – nur dass das ohnehin schon lebensbestimmende Lager jetzt noch mehr zum Knast wird! Die Gewalt des Staates, die Ausübung von Zwang, um das Individuum zu entmündigen und zum Untertan zu machen, wird als legitimes und gerechtfertigtes Mittel von allen respektiert, anerkannt und gehört vollständig zur akzeptierten Normalität. Solange wir daran nichts ändern, sind auch wir verantwortlich für die gewalttätigen Verhältnisse, in denen wir und auch diejenigen, die hierher geflüchtet sind, leben.
Unruheherd
28.08.16: Kollektiver Widerstand
In einer Asylbewerberunterkunft in Obersendling kommt es zum Tumult. Bänke und Tische werden umgeschmissen, ein Stein wird auf einen Security geworfen. Anschließend versammeln sich um die 200 Leute vor dem Gebäude und fordern besseres Essen. Laut Bullen konnte sich im Nachhinein niemand daran erinnern, wer was getan hat, es wurde also niemandem etwas angehängt.
02.09.16: Wessen Sicherheit
In Ismaning greifen in einer Asylbewerberunterkunft drei Personen einen Security an. Security – nur zur eigenen Sicherheit ?! Wohl eher zur Kontrolle und Schikane!Handlanger der Bullen und des Staates sind als solche zu behandeln!!!