Kloten. Feuer der Ausweglosigkeit

gefunden in der Dissonanz Nr. 26 – anarchistische Zeitung

Während das Schweizer Militär darüber berät, in welchem spezifischen Fall von “Flüchtlingswelle” sie nun an die Landesgrenze ausrücken wird; während Bundesrätin Sommaruga sich mit Insassen des Bundeslagers Losone im Tessin ablichten lässt, oder während einfach der ganz normale schweizer Alltagsterror auf Geflüchtete ausgeübt wird, wurde an einem Ort der Vergessenheit, der Isolation und der Stigmatisierung Feuer gelegt, um diesem Wahnsinn endlich ein Ende zu setzen. Um dem eigenen Leben, das schon zu lange von widerlichen Wärtern, Bullen, Beamten und Sozis entwürdigt wurde, ein Ende zu setzen. Anfangs April nahm sich ein 27-jähriger Tunesier im Ausschaffungsknast Zürich Kloten das Leben, in dem er sich in seiner Zelle selbst anzündete und an den Verletzungen erlag. Dass dieser junge Mann zuvor über zwei Wochen in Isolationshaft gehalten wurde, nahm die Gefängnisleitung wohl zum Anlass, dieses für sie etwas unangenehme Ereignis zur Kenntnis zu nehmen, ad acta zu legen und so zu tun, als ob alles in bester Ordnung wäre. Kein Mux sollte nach Aussen dringen. Niemand sollte davon erfahren, was Menschen bereit sind sich anzutun, wenn sie ihrer Freiheit beraubt werden. Und doch, mithilfe von Mit-Insassen des Getöteten, hat die versuchte Vertuschung die Gefängnismauern verlassen.

Nicht allzu schwierig sich vorzustellen, was passiert wäre, hätten die boulervardistischen Tagesblätter Wind davon gekriegt: “Chronisch suizidaler Drang eines Papierlosen”; “Geistig gestörte Persönlichkeit aus Tunesien”; Unmenschliche Haftbedingungen in Kloten. Was wirklich hinter Gittern geschieht” – wir kennen all die Schlagzeilen doch nur zu gut. Alle hätten sie sich die Finger wund geschrieben, anklagend, fragend, verharmlosend, skandalisierend, relativierend, ungeschickt differenzierend – und schon wäre der Tag um, und die Geschichte mit dem berühmten die-Ermittlungen-dauern-noch-an abgeschlossen. Zur Kenntnis genommen. Ad acta gelegt. Alles in bester Ordnung.

Alle in einem Boot?

Wenn es schon nicht Wut ist, die ihr empfinden könnt, wenn ihr von solch schrecklichen Ereignissen hört, dann aber bitte schön Schuld, Trauer und Resignation… Es scheint, als seien es diese drei Attribute, mit denen unsere Gesellschaft am besten beschrieben werden könnte. Handzahm nehmt ihr die schlechten Gefühle, die solche Ereignisse auslösen (falls sie es überhaupt noch tun), mit in die eigenen vier Wände, wo ihr sie unterbewusst in Depression, Unsicherheit und Selbsthass umwandelt – immer im Glauben, dass eigentlich ja alles in bester Ordnung ist. Und so dreht sich das Karussell der Verwirrung weiter, bis zu dem Punkt, wo schliesslich arrivierte Akademiker ins Rampenlicht treten und beteuern, dass es ja stimmen mag, dass wir in einer Gesellschaft leben, die auf Unterdrückung und Herrschaft aufbaut und sich immer weiter reproduziert, ABER dass wir alle aktiver Teil dieser Gesellschaft sind und es somit schlussendlich keinen Unterschied macht, ob wir vor dem Feierabend noch den letzten Arbeitsschritt tätigen und die Isolationshaftzelle abschliessen, oder ob wir am nächsten Tag in unserem Tante-Emma-Laden die Zeitung aufschlagen und darin lesen (oder eben auch nicht), dass sich wiedereinmal ein Mensch ohne Papiere das Leben genommen hat. Alle in einem Boot. Alle der Kapitän. Alle die Besatzung. Doch diese gescheiten Apostel eines allumfassenden Relativismus vergessen nicht nur die Entscheidungsmacht des Individuums, sie negieren sie beinahe. Natürlich, es stimmt, dass wir ein Heer von stillen Mittätern sind, die diese Maschine der Zerstörung – auf sozialer, physischer, mentaler und ökologischer Ebene – am laufen halten. Doch innerhalb dieses strukturellen Zwangs gibt es die Möglichkeit, sich gegen diese Zerstörung zu richten und anzufangen, dagegen zu rebellieren. Nicht im übertragenen, globalen Sinne, sondern unmittelbar und direkt. Hier und jetzt haben wir die Möglichkeit zu entscheiden. Hier und Jetzt sollten daraus Handlungen folgen. Falls es wirklich ein Boot geben sollte, in dem wir alle drin sitzen, dann lasst uns damit anfangen, unsere Verantwortung wahrnehmend, dieses Boot zum kentern zu bringen!

Richten wir das Feuer nicht gegen uns selbst, sondern gegen jene, die das Recht und die Wahrheit für sich gepachtet haben!