Dieser kleine Text, der vielleicht eine kleine Übersicht über die Kämpfe gegen das Bässlergut in Basel verschafft sowie ein paar Gedanken zu dieser spezifischen Art des Kämpfens formuliert, wurde von mir als Einzelperson geschrieben. Es sind meine Gedanken und meine Geschichte, die sich darin widerspiegeln. Der Text spricht, selbstverständlich, nicht für den gesamten Kampf. Andere würden wohl andere Dinge hervorheben und/oder anders gewichten.
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Es ist Freitagabend und einmal mehr versammeln sich auf einer Lichtung im Wald mehrere Personen und machen sich auf den Weg zu einem nahegelegenen Knast in Basel (eine kleine, reiche Stadt im Norden der kleinen, reichen Schweiz). Es ist der 11. September 2015 und die Leute rennen in Richtung Bässlergut, ein Knast am Rande der Stadt, aufgeteilt in 30 Plätze Abschiebehaft und 43 Plätze Strafvollzug. Beim Knast angekommen, werden Feuerwerke gezündet, ein Transparent mit der Aufschrift „Directeur Arschloch – Politik fasciste“ (ein Spruch, der bei einem der letzten Besuche von einem Gefangenen gerufen wurde) wird an den Zaun gehangen und Parolen gerufen. Die Gefangenen schreien ebenfalls zurück und schlagen mit voller Wucht gegen die verriegelten Fenster, so, wie sie das immer tun bei solchen wiederkehrenden solidarischen Besuchen. Bevor die kleine Meute nach wenigen Minuten wieder im Wald verschwindet, wird noch ein Kameramasten auf dem Parkplatz vor dem Gefängnis sabotiert. Im Anschluss an diesen Knastspaziergang wird dazu aufgerufen, sich dem geplanten Bau eines zweiten Gefängnisses direkt daneben zu widersetzen.
Die Geschichte spielt eine Woche vor einer angekündigten Demo gegen eine Militärübung ‚Conex15‘ in der Region Basel, bei der ein fiktives Szenario eines zusammenbrechenden Europas geprobt werden soll. „Wirtschaftskrise“, „Sabotagen auf und Plünderungen von Öl-, Gas- und Getreidevorräten“, „Flüchtlingsströme“ sind einige Stichworte aus diesem Szenario. Die Demo zieht wiederrum zum Bässslergut, bei dem es zu Zusammenstössen mit den Bullen kommt, auf dem weiteren Weg wird alles, was kaputt gehört und in kurzer Zeit kaputt gemacht werden kann, auch kaputt gemacht (nur oberflächlich und kurzfristig, wie sich wohl von selbst versteht, nach wenigen Tagen bis Wochen strahlt die Fassade des sozialen Friedens wieder).
Seither sind mehr als zwei Jahre vergangen. Seit dem Frühjahr 2017 wird neben dem Bässlergut an einem zweiten Knast gebaut. In diesem soll voraussichtlich der Strafvollzug mit 78 Haftplätzen untergebracht werden. Die zwei Arten der Inhaftierung (Abschiebehaft und Strafvollzug) werden dann wieder in voneinander getrennten Gebäuden untergebracht sein. In den nächsten Jahren soll dann auch das Empfangszentrum, das sich ebenfalls direkt daneben befindet, zu einem sogenannten Bundesasylzentrum umfunktioniert werden, in der die verschiedenen Verwaltungsstellen der Asylmaschine zentralisiert werden. Mehrere solcher Bundesasylzentren werden in den nächsten Jahren auf dem gesamten schweizer Territorium entstehen und werden auch an verschiedenen Orten bekämpft. In Zürich zum Beispiel, wo diese moderne Form der Lagerpolitik seit Anfang 2014 getestet wird, entfaltete sich ein radikaler und direkter Kampf dagegen. Und auch an anderen Orten kam es zu Aktionen, Sabotagen und Besetzungen, noch bevor die Lager überhaupt eröffnet wurden.
In diesen zwei Jahren haben also nicht nur die Herrschenden an ihrem repressiven Projekt gearbeitet. Neben dem Aufruf zum Widerstand gegen das Bässlergut II im Anschluss an den erwähnten Knastspaziergang, machte Anfang 2016 auch ein Flyer und Plakat unter dem Titel „Wenn die Feind_innen der Freiheit einen Gang zulegen…“ die Runde. Darin werden die Entwicklungen in Basel in einen grösseren Kontext gestellt, in dem sich ähnliche Lager und Knäste sowohl in Europa wie auch ausserhalb verbreiten werden und in dem dieses weitere Lager und dieser weitere Knast nur ein kleines, lokales Abbild eines viel breiter geführten Kriegs der herrschenden Ordnung darstellt. Aus dem Text: „…ohne weiteres wäre es möglich, weitere Beispiele des gegen Migrant_innen geführten Kriegs aufzuführen, der bereits tausenden Menschen den Tod brachte. Leider ist dieser im noch jungen 21. Jahrhundert geführte Krieg nicht der einzige, und so reihen sich die verschiedenen Überwachungsgesetze in den verschiedenen Ländern, die militärischen und polizeilichen Aufrüstungen, die Bauten von verschiedenen Knästen in ganz Europa und die sich in Knäste unter offenem Himmel verwandelnden Städte, die zunehmende Repression gegen Widerständige in die gleiche Offensive der Mächtigen ein. Ein Krieg, der so normal geworden ist, dass er nicht mehr erklärt werden muss und, die Maschen der Kontrollgesellschaft enger schnallend, auf allen Ebenen die bestehende Privilegienherrschaft sichern soll; alle auf ihren Plätzen, registriert und durchleuchtet, um schon beim kleinsten Anzeichen eines Kontrollverlusts oder eines Ausbruchs aus diesen Reihen genügend Mittel zur Verfügung zu haben, um möglichst schnell und effizient die Ordnung wieder herzustellen oder die störenden Elemente unschädlich zu machen.“
Ein Angriff auf einen lokalen Auswuchs der bestehenden Verhältnisse (in diesem konkreten Fall das Bässlergut) kann, unter anarchistischem Blickpunkt, nur als Angriff auf diese internationale Entwicklung betrachtet werden und sollte dies, wenn möglich, auch in den Kämpfen enthalten. Ein lokales Projekt der Mächtigen zu bekämpfen, ist schlicht ein Mittel, ein abstraktes, global verflochtenes, historisch gewachsenes und zu oft verwirrendes System an einer konkreten Manifestierung fest und sichtbar zu machen. Ein spezifischer Kampf ist vor allem ein Anfang.
Die Nächte fangen Feuer
Das Gefängnis Bässlergut wird erst seit dem Jahr 2000 als solches genutzt und steht seit dann auch in der Kritik und ist somit zu einem Referenzpunkt des lokalen Widerstands gegen die massive Abschiebepraxis, das europäische Grenzregime wie auch gegen das staatliche Bestrafen und Einsperren von Menschen im Allgemeinen geworden. An diesem Punkt muss angefügt werden, dass man nicht von einer verbreiteten feindseligen Stimmung in Basel gegen dieses Gefängnis oder gegen die Autorität im Allgemeinen reden kann und dass auch die Knäste in Basel oder der Schweiz in den letzten Jahren nicht von kleineren oder gar grösseren Revolten erschüttert wurden. Dieser Kampf kann also nicht als anarchistische Intervention in eine bestehende soziale Spannung verstanden werden. Eine solche Spannung ist hier ganz einfach nicht vorhanden, zumindest nicht sichtbar.
Mit der Vorgeschichte war es aber dennoch klar, dass der Erweiterungsbau nicht in voller Ruhe gebaut werden kann und auch nicht wird. Auch wenn die Kämpfe gegen dieses Gefängnis, sowie die verschiedenen Logiken, für die es sinnbildlich steht, so alt sind, wie der Knast selbst und auch wenn schon früh zum Widerstand gegen den Erweiterungsbau aufgerufen wurde, so haben sich die Kämpfe dagegen seit Baubeginn definitiv intensiviert, die Angriffe auf die Verantwortlichen gehäuft. Was mit kleineren Angriffen in Form gestochener Autoreifen bei am Bau beteiligter Firmen begann, entwickelte sich relativ rasch in zerstreute Brandanschläge auf die Autos dieser Firmen. Man konnte dies in Basel in den letzten Jahren wohl relativ selten sehen, dass an einem Wochenende gleich zwei Autos (ein Zivilauto der Basler Polizei und ein Auto von Swisscom, ein Telekommunikationsunternehmen) sowie ein Bohrkran (der Baufirma Implenia, welche die Bauleitung übernommen hat) an unterschiedlichen Orten Feuer fangen.
Die destruktiven Angriffe auf die verantwortlichen Akteure stellen sicherlich ein zentrales Element in diesem Kampf dar, doch war das letzte Jahr von diversen Formen des Widerstands geprägt. Mittels Plakaten „Gegen den Staat, seine Grenzen und Knäste“ wird dazu ermutigt, „sich mit Freunden und Gleichgesinnten zusammen zu tun, sich zu organisieren, sich Pläne auszuhecken und all denjenigen, die uns als passive Zuschauer gegenüber ihrem permanenten Machtausbau sehen wollen, das Spiel zu verderben und diese anzugreifen“ und „entgegen dem, was die Herrschenden uns glauben machen wollen, dass sie allmächtig und unantastbar seien“, auch bekräftigt, „dass die Revolte möglich ist, dass das Feuer der Freiheit lebt, solange es Individuen gibt, die sich voller Entschlossenheit und Freude gegen ihre eigene Unterdrückung stellen“. Eine Liste mit den Verantwortlichen und ihren Adressen wird im Internet (und eher wenig auf den Strassen) verbreitet. In der ganzen Stadt tauchen Sticker und Sprüche gegen das Bässlergut auf. An verschiedenen Veranstaltungen und Diskussionsrunden wird über dieses weitere Gefängnis sowie unsere Möglichkeiten des Widerstands diskutiert. Zu „Unehren“ des Nationalfeiertags werden erneut die Gefangenen gegrüsst und die Baustellenwand vollgesprayt. Im Mai ziehen 200 Menschen unter der Parole „Bässlergut einreissen – nicht erweitern“ in Richtung Baustelle, werden allerdings von den Bullen aufgehalten. Ein paar Tage vor der Demo brennt auf der Baustelle ein Bagger von Implenia ab, die Medien nehmen die Serie der Angriffe auf, die Stimmung ist spürbar angeheizt.
Die Angriffe sowie auch die mediale Stimmungsmache gehen weiter. Die unter Druck stehenden Behörden können keine Ergebnisse vorweisen. Eine Sonderkommission wird eingerichtet. Die Frage ist nicht mehr, ob, sondern wann und wo sie zuschlagen. Am 5. Oktober 2017 kommt es dann in den Kantonen Basel-Stadt, Basel-Land sowie Zürich zu sechs Hausdurchsuchungen, teilweise werden Computer, Handys und Kleidungsstücke beschlagnahmt, die Beschuldigten auf dem Posten befragt und, nachdem die DNA abgenommen wurde, auch wieder entlassen. (In der Schweiz ist das Sammeln von DNA-Spuren sowohl bei Tatorten wie auch bei beschuldigten Personen allgegenwärtig. Schon bei kleineren Verbrechen wie zum Beispiel Ladendiebstahl kann es zur Entnahme kommen. Bei Delikten, die im Zusammenhang mit subversiven Taten stehen, wird sie definitiv genommen. Bei einer Verweigerung der Entnahme sind die Behörden berechtigt, ‚verhältnismässige‘ Gewalt anzuwenden. Die Repressionsbehörden sind stets darum bemüht, die Datenbank bei allem Scheiss zu erweitern, gerade wenn es sich um potentiell Aufständische oder deren Taten handelt. Ein DNA-Hit (also die Übereinstimmung von Spuren am Tatort mit denen einer Person) genügt in den meisten Fällen, um verurteilt zu werden.) Die durchsuchten Personen werden wegen der Beteiligung an der erwähnten Demo im Mai des Landfriedensbruches angeklagt. Es ist klar, dass es bei dieser Anklage nicht wirklich um diese Demo geht, an der neben kleineren Sachbeschädigungen (Sprayereien) nichts weiteres passiert ist. Und so versuchen die Behörden, die Demo mit den diversen Bränden und Angriffen in Zusammenhang zu stellen. Im besten Fall hätten sie bei den Durchsuchungen etwas belastendes gefunden oder die abgenommenen DNA-Spuren werden ein bisschen Licht ins Dunkel bringen. Andernfalls ist es ein warnendes Signal und eine weitere Drohung an all diejenigen, die diesen Kampf beleben oder nach Möglichkeiten suchen, dazu beizutragen.
Am 30. November 2017 wird die anarchistische Bibliothek ‚Fermento‘ in Zürich durchsucht. „Im Schaufenster der Bibliothek werde zu Verbrechen und Vergehen gegen Firmen und Privatpersonen aufgerufen, was im Zusammenhang zu sehen sei mit jüngsten Brandanschlägen gegen den Bau des PJZ und des Gefängnisses „Bässlergut“ in Basel“, schreiben die ‚Anarchisten vom Fermento‘. Das Polizei- und Justizzentrum (PJZ) wird momentan in Zürich gebaut. Auch dieses Projekt wird seit Ankündigung verbal wie physisch angegriffen. Auch hier ist die Baufirma Implenia beteiligt. Auch in Zürich brannten im letzten Jahr diverse Bagger oder Fahrzeuge dieses Unternehmens.
Aufständische Praktiken
Ein solcher Kampf, der nicht nur diese eine Manifestierung der Macht angreifen und verhindern will, sondern zum selbst-organisierten Kampf mit den Mitteln der unmittelbaren praktischen Kritik jenseits der Repräsentation und Delegation einlädt und diesen zu Stärken sucht, kann nicht von der Stimme oder der Kraft einer Organisation oder was auch immer abhängen. Ein solcher Kampf, der über einen spezifischen Ausgangspunkt zur Zerstörung der gesamten Ordnung aufruft, lebt von der Kreativität und der Initiative der verschiedenen informellen Gruppen oder Einzelpersonen, die ihren eigenen Wegen und Ideen folgen und den dezentralen Angriff dennoch auf ein gemeinsames Ziel lenken und sich darin ergänzen und koordinieren können. Wie weiter oben schon erwähnt, sind offensiv geführte Kämpfe, die sich auf ein konkretes Projekt der Herrschaft konzentrieren, ein Mittel, um Kritik an dieser sichtbar zu machen, sowie um Methoden, die diese Herrschaft ins Wanken bringen und zertrümmern könnten, vorzuschlagen und aufzuzeigen. Die Sichtbarkeit unserer Kämpfe ist sicherlich eine Stärke, zur gleichen Zeit aber auch eine Gefahr. In Basel konnte man das sehr deutlich beobachten. Im Jahr 2016 brannten diverse Fahrzeuge und Container in der Stadt und auch andere Mittel des direkten Angriffs wurden angewandt. Teilweise wurden Schreiben zu diesen Aktionen verfasst. In vielen Fällen aber liessen die unbekannt Gebliebenen das Feuer oder die Scherben für sich selber sprechen. Niemand konnte wirklich wissen, wer hier was und aus welchen Beweggründen angreift, dennoch haben diese Taten eine gewisse Stimmung in diese allzu ruhige, befriedete Stadt gebracht. Man kann über die Motivationen dahinter also nur spekulieren, was sich aber gezeigt hat, war, dass auch wenn die Medien von einer Serie von verschiedenen Brandstiftungen berichten mussten, nie ein Zusammenhang hergestellt werden konnte. Die Ermittlungsbehörden hatten keine Anhaltspunkte.
2017 brannten wieder verschiedene Fahrzeuge und auch andere Mittel des direkten Angriffs wurden angewandt. Viele davon stehen im Zusammenhang mit dem Kampf gegen das Bässlergut, wie das die trotzdem unbekannt Gebliebenen im Internet schrieben, und wie das sowieso klar war, ging es doch sehr häufig um die immer gleichen Firmen und die immer gleichen Mittel (Kreativität in den Formen des Angriffs scheint ganz generell nicht die grösste Stärke der anarchistischen Welt zu sein…). Der Zusammenhang ist hergestellt. Auch wenn die Ermittlungsbehörden bezüglich den Angriffen bisher im Dunkeln tappen, können sie diese mit einer öffentlichen Demo gegen den gleichen Knast in Verbindung bringen. Nächtliche Angriffe aufzuklären, ist bei einer gewissen Ausführung relativ schwierig. Eine öffentlich angekündigte Demo abzufotografieren und die Leute zu identifizieren hingegen ziemlich einfach. Dies soll keine Argumentation dafür sein, unsere Kämpfe in grösst möglicher Klandestinität zu führen und auch keine Argumenation, die sich in jedem Falle gegen Communiqués richtet. Diese Zeiten werden vielleicht irgendwann kommen. Solange wir aber die Möglichkeit haben, anarchistische Ideen zu propagieren und zum direkten, destruktiven Angriff aufzurufen oder Gedanken und Reflexionen zu diesen Kämpfen zu teilen, sei es via Mitteilungen über ausgeführte Aktionen oder in Form dieser internationalen Korrespondenz, sollten wir diese auch wahrnehmen. Vielmehr stellt sich die Frage, wie Sichtbarkeit mit Zerstreutheit, Klarheit mit Diffusität einhergehen können. Sichtbarkeit und Klarheit, sodass es allen Menschen klar ist, was hier aus welchen Gründen bekämpft wird. Zerstreutheit und Diffusität, weil der Widerstand kein Zentrum (weder in der Organisierung noch in den Zielen des Angriffs) kennen darf, sondern sich ausbreiten und verstreuen soll und muss, weil die Attacken von allen Seiten, mit allen Mitteln, von überall und gleichzeitig nirgendwo kommen sollten.
Kreise ziehen
In anderen Kontexten mit einer weiter verbreiteten Feindseligkeit gegenüber den Strukturen der Macht stellt sich diese Frage bezüglich der Gefahr von spezifischen Kämpfen vielleicht weniger. Es sollte auch klar sein, dass wir unsere Kämpfe nicht nach potentiellen Gefahren ausrichten können. Wenn wir uns dazu entscheiden, eine potentielle (oder auch tatsächliche) Gefahr für das Bestehende zu sein, dann gehen wir auch aktiv das Risiko ein, dass die Keule zurückschlägt. Dies heisst wiederrum aber nicht, dass wir nicht darum bemüht sein sollten, zumindest zu versuchen, die Richtung der Repressionskeule abzuschätzen, vorauszusehen, sie zu verwirren und ihr so möglichst auszuweichen. Die folgenden Überlegungen können unabhängig davon vielleicht dennoch als Anlass genommen werden, um über aufständische Theorien und Praxen zu reflektieren und diese weiterzuentwickeln. Bleiben wir beim Kampf gegen das Bässlergut in Basel. Die Brandanschläge trafen im letzten Jahr sehr häufig ein paar wenige Firmen, die am Bau beteiligt sind und wurden in den meisten Fällen über Communiquées im Internet auch in diesen Zusammenhang gestellt. Angriffe auf die Polizei, die Politik oder auch andere Institutionen und Firmen, die zwar nicht direkt am Bau beteiligt aber auf andere Weise für das Funktionieren des Kontroll-, Bestrafungs- und Abschiebeapparates unabdingbar sind oder sich am gesamten Komplex der Unterdrückung beteiligen, blieben selten. Kapazitäten sind beschränkt und so ist es schwierig, an allen Ecken, in denen wir die Mechanismen der Herrschaft ausmachen, mit unseren Gedanken und Taten präsent zu sein. Gleichzeitig könnte dies auch schnell dazu führen, erneut in das Loch der wirren Verzettelung abzudriften.
Spezifische Kämpfe werden aber genau im Gegensatz dazu geführt. In Basel wird in erster Linie das Bässlergut bekämpft und nicht die Mauer an der Grenze zwischen den USA und Mexico. Der Bau genau dieses Knastes steht im Mittelpunkt dieses Kampfes und so sollen auch diejenigen, die für den Bau genau dieses Knastes verantwortlich sind, im Mittelpunkt der Angriffe stehen. Um diesen Mittelpunkt reihen sich aber verschiedenste, miteinander verwobene Kreise. Das Bässlergut ist ein Gebäude mit Zellen, Eingesperrten, Wärter*innen und Zäunen, das von der Politik beschlossen, von einigen Unternehmen umgesetzt und dann von anderen Unternehmen oder Institutionen verwaltet, beliefert und bewacht wird. Es befindet sich aber in einem grösseren Kontext, es ist Teil eines sozialen Verhältnisses der Beherrschung und Unterwürfigkeit, der Teilnahme und Akzeptanz, das wiederrum von teilweise klar benennbaren Akteur*innen genährt, produziert und reproduziert wird. Es ist dieses soziale Verhältnis, das den Laden am Laufen hält und das schlussendlich untergraben und zerstört gehört.
Nicht alle sehen sich selbst oder ihre Bekannten der direkten Gefahr ausgesetzt, eingesperrt oder ausgeschafft zu werden, aber absolut niemand kann sich vollständig den Griffen der Macht entziehen, die alles und alle eingenommen und integriert hat (Justiz, Arbeit, Religion, Technologie und ihre unendlichen Möglichkeiten in der Zukunft, Stadt, Geld, Familie, Schule, Geschlecht, Eigentum, Nation, Medien, Konsum, Produktion, Medizin, Daten, Militarismus, Wissenschaft, Energieversorgung, Ressourcengewinung oder was auch immer – die Griffe der Macht sind überall, es gibt kein ausserhalb). Das Gefängnis spielt dabei sicherlich eine bedeutende Rolle. Doch auch wenn alle Knäste abgeschafft werden würden, dann nur, weil die Justiz effektiverere und sozial noch verträglicherere Formen der Drohung und der Bestrafung gefunden hätte. Dass wir alle in dieser eintönigen, durchstrukturierten, vorgegebenen Gesellschaft leben müssen, die uns alle in den gleichen Gesetzen, den gleichen Werten, den gleichen Fiktionen, der gleichen verstörenden Realität, der gleichen Leere, der gleichen Gleichheit gefangen hält, daran würde sich genau gar nichts ändern. Die Gesellschaft würde uns alle weiterhin dazu verdammen, diesen einen Weg der Gesellschaft zu befolgen und unsere Träume ihren anzugleichen. Vielleicht ist es auch gerade das, wodurch sich Gesellschaft auszeichnet. Wenn wir also nicht für das Ende dieser Zivilisation, für die Zerstörung der Macht in all ihren Formen und für die Möglichkeit des selbstbestimmten Experimentierens, für die vollständige Eroberung des Lebens mit all seiner Pracht wie auch seinen Schattenseiten kämpfen, wofür dann? Etwa für ein bisschen weniger Rassimus, für mehr ‚Menschlichkeit‘, für die Zerstörung eines Knastes, für ein besseres Überleben, gegen die Plünderung eines geplünderten Planeten, gegen die Gier der Gierigsten, für die Selbst-Verwaltung des Bestehenden? Ja, viel Spass dann!
Aber wir waren bei unseren Kämpfen. Die Gratwanderung besteht darin, den Mittelpunkt klar im Visier zu haben und trotzdem fähig zu sein, die Kreise rundherum, die soziale Dynamik, als integralen Bestandteil und Bedingung dieses Mittelpunktes zu benennen und anzugreifen. Sowohl, um die Kritik auszuweiten als auch, um die unterschiedlichsten Menschen zum Kämpfen anzuregen. Einfaches Beispiel: Hätte es neben den Angriffen auf die Verantwortlichen dieses Baus auch vermehrt destruktive Akte gegen irgendwelche Überwachungskameras in der Stadt oder Unternehmen, die das Geschäft der Überwachung ankurbeln und daran verdienen, gegeben und wären diese Angriffe wiederrum in die Kritik einer ‚Knastgesellschaft‘ (grosses Wort) einbezogen worden, so würde der Kampf die Kritik auf ein breiteres Feld übertragen. Der Kampf wäre eher fähig, die soziale Dynamik der Unterdrückung, die sich in verschiedensten Formen an verschiedensten Orten wiederfindet, zu benennen und gleichzeitig zu einem Sturm auf ein konkretes, noch nicht bestehendes Gebäude, das diese Dynamik verkörpert, aufzurufen und zu ermutigen. Vielleicht würden Menschen, die einen riesen Groll auf all diese Überwachungskameras haben, auch verstehen, warum andere Menschen so energisch einen Knast bekämpfen. Vielleicht würden diese Menschen keinen Unterschied mehr aus diesen zwei Formen der Drohung und Kontrolle machen. Vielleicht, vielleicht… Die Kreise liessen sich beliebig weiterspinnen. Der Angriff auf das Bässlergut ist am Schluss eben doch auch ein Angriff auf diese verdammte Mauer zwischen den USA und Mexico, weil er ganz einfach ein Angriff auf die Welt der Herrschaft ist.
Nie wird es vorbei sein!
Anarchistische Kritik bezieht sich bereits seit Jahren auf das Bässlergut und wird dies wohl auch weiterhin tun. Egal in welche Richtungen sich diese Kämpfe entwickeln werden, kann schon heute gesagt werden, dass dieser Knast nicht nur die Geschichte der allumfassenden, auch wenn manchmal subtilen, Unterdrückung erzählt, sondern auch immer diejenige eines radikalen Widerstands dagegen.
Realistische Stimmen mögen behaupten, dieser Knast wird so oder so gebaut werden und es wäre gewiss schwierig bis unmöglich, diese Stimmen vom Gegenteil zu überzeugen. Doch kann dies nicht der Ausgangspunkt und schon gar nicht die Motivation für rebellische, anarchistische Herzen sein. Die widerständige Saat wurde und wird auch weiterhin verstreut, das Streben nach einer anderen, einer komplett anderen Welt sowie die Möglichkeit des direkten Angriffs haben hier wohl die meisten wahrgenommen. Was damit passiert, was andere Menschen damit machen, kann nicht in meinen noch in anderen Händen liegen. Die Frage, die uns zu betreffen hat, ist, wo und wie wir diese Samen der Rebellion streuen und wie wir sie kultivieren und pflegen können. Es ist niemals ausgeschlossen, dass die Ideen Verbreitung finden, dass sich Leute dazu entschliessen, nicht mehr zu gehorchen, nicht mehr zu warten und hier und jetzt damit beginnen, die Bedingungen ihres eigenen Lebens und ihrer Umgebung zu definieren und zu prägen. Wenn die Anarchie keine simple Meinung, kein Philosophieren über eine mögliche, bessere Zukunft, und noch weniger ein Programm, ein klar definiertes Ziel sein kann, dann ist sie die konstante Entdeckung und Prägung seines vielfältigen und chaotischen Selbst in Konfrontation mit allen hegemonialen Wahrheiten oder autoritären Dynamiken. Unter herrschaftsfreien Bedingungen wäre es uns allen einfacher möglich, uns selbst und unsere Mitwelt neu zu erkunden und nach unseren Vorstellungen zu gestalten und zu entwickeln. Unter dem Gewicht der bestehenden staatlich, kapitalistischen Bedingungen zu leben, ist aber nicht das Ende unserer lebens- und freiheitsliebenden Existenz oder der Anarchie.
Sie werden sich auch unter diesen widerlichen Voraussetzungen ihren Weg suchen.
Und sie werden ihren Weg finden. So oder so.
Es sollen sich alle herzlichst umarmt fühlen, die sich im Laufe dieser Kämpfe in den letzten Jahren dazu entschieden haben, das Weite zu suchen.
Januar 2018