gefunden in der Dissonanz Nr. 17, 23. Dezember 2015
Nach wie vor ist die Thematik “Flüchtlinge” ein heisses Eisen. Die einen tauchen dieses, wie sie es halt gewohnt sind, ins kalte Wasser und legen es danach zu den anderen Fabrikationen dieser Gesellschaft, um sich dem nächsten mit ähnlicher Aufmerksamkeit zu widmen. Andere halten dieses Eisen durch politisches Kalkül so heiss, damit es sich nach Belieben und eigenen Interessen verbiegen lässt. Und wieder andere überlassen das Schmieden jenen, die ihrer Ansicht nach genug qualifiziert sind und schon wüssten, was zu tun sei. Doch es gibt auch solche, die da nicht ein Eisen sehen; die den Schmied und seine Giesserei verabscheuen; die die Tragödien an sich heran lassen; die da Menschen sehen. Die medial aufgebauschte Welle der humanitären Betroffenheit, der affektiven Hilfeleistungen und der selbstgerechten Ersatzhandlungen wie Refugees-Welcome-Facebookgruppen, Refugees-Welcome-Kundgebungen mit Parteien und NGOʹs etc., scheint langsam abzuflachen und das Feld nun ganz der Politik mit ihren Experten, Sonderstäben und verwalterischen Möglichkeiten zu überlassen – ein abgekühltes Eisen also…
Doch was passiert eigentlich?
Man könnte also meinen, dass die Dynamik abgeflaut sei, dass sich die Gesellschaft nicht mehr für Geflüchtete interessiere, oder zumindest nur noch marginal. Was die Marginalität angeht,so könnte dies sogar zutreffen. Doch was nun hervorsticht, ist die Qualität, die die jeweiligen Initiativen mit sich bringen. Es ist wiedereinmal nicht die Masse, die versucht, die Distanz zu verringern, die versucht, selbstorganisierte Strukturen aufzubauen, die versucht, durch Vertrauen und Ehrlichkeit ein gleichwertiges Verhältnis zwischen Hiesigen und Geflüchteten anzustreben, die versucht, durch Wissensaustausch den symbolischen Widerstand zu verlassen, um wirklich gefährlich zu werden für all jene Menschen, Institutionen und Unternehmen, die an diesem Migrationsregime mitwirken und davon profitieren. Nein, es sind Einzelpersonen, kleine Grüppchen und mehr oder weniger grössere Zusammenhänge, die Tag für Tag die Initiative ergreifen, um die gesellschaftliche Isolation zu durchbrechen und sich mit Geflüchteten treffen, diskutieren, Erfahrungen austauschen, Handlungsmöglichkeiten erarbeiten, (Wohn-)Räume eröffnen, sie verstecken, sie über die Grenze bringen usw. – ohne einen dementsprechenden Uni-Abschluss, ohne ein Salär, ohne Autorisierung irgendeiner staatlichen Instanz (all das wäre angesichts der Tatsachen völlig absurd!), oder sonst was. Es sind normale Individuen, die sich dafür entschieden haben, diesem staatlichen Terror, der fortwährend alle Menschen – mit- oder ohne Papiere– domestiziert, unterdrückt, ausbeutet, und all jene mit noch schlechterem Los in Lager und Gefängnisse steckt, und sie, falls möglich, in Tod und Elend deportiert, entschlossen entgegenzutreten und ihn bis aufs Letzte zu bekämpfen. All dies für die eigene Freiheit, für die Freiheit Anderer, für die Freiheit von allen. Nichts an dieser Entscheidung ist heroisch, nichts moralisch. Sie ist Resultat eines persönlichen Prozesses, der sich aus direkten und indirekten Erfahrungen zusammensetzt und sich immer weiterentwickelt. Je mehr man sich diesem Prozess annimmt, je mehr man die Distanz verkürzt, emotional wie auch physisch, desto mehr Fragen und Möglichkeiten tun sich auf. Denn es gibt keine Lösung des “Flüchtlingproblems” (zumal von einem Problem zu sprechen schon xenophob genug ist, aber so sind die Medien und ihre menschlichen Papageien halt) ohne eine Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die dieses “Problem” erst erschaffen haben. Doch das heisst nicht, dass man bloss dasitzen und auf die Revolution warten soll, nein, das wäre marxistischer Fatalismus. Denn die gesellschaftlichen Verhältnisse, arm und reich, Ausbeuter und Ausgebeutete, Unterdrücker und Unterdrückte, Herrscher und Beherrschte, Gesetzgeber und Gesetzesbrecher, Eingeschlossene und Ausgeschlossene, Privilegierte und Diskriminierte, lösen sich nicht einfach auf wie eine Brausetablette im Wasserglas. Diese Missstände aufzulösen verlangt Zeit, Ausdauer, emotionale Stützen, Wissen, Verbündete, Entschlossenheit, Optimismus, Wagemut, genaue Analysen der eigenen Realität, Wut und Liebe. Und doch vermögen wir es nicht, in einem Menschenleben all diese Hürden und Grenzen niederzureissen, um endlich mit unserer gewonnen Freiheit experimentieren zu können und zu lernen, was Leben denn noch alles bedeuten könnte…
Lasst uns handeln – alle
Diese Perspektive ist jedoch nicht etwas, das uns erschüttern sollte. Zu tief reichen die Wurzeln der Autorität im menschlichen Geist, als dass sie sich von heute auf morgen einfach herausreissen
liessen. Vielmehr sollte die Perspektive des scheinbar Unerreichbaren all jene, die ihr Leben nicht in den verschwenderischen Mülleimer des Ruhms, des Reichtums, des Herumkommandierens,
der apathischen Gefolgschaft oder des blinden Konsums werfen wollen, sondern sich dem Bestreben der zu erlangenden Freiheit aller annehmen, jeden Tag aufs neue anspornen, diesen Wunsch zu verwirklichen – mit allen uns verfügbaren Mitteln und Wegen der direkten Aktion! Überall gibt es Lager, Bunker, Gefängnisse und Anstalten, wo man mit Menschen in Kontakt treten kann. Überall gibt es Verwaltungszentren und Verwalter, private und staatliche Sicherheitsunternehmen und Entscheidungsträger, Polizeiposten und Polizisten, Gerichte und Staatsanwälte, kollaborierende NGOʹs und Vorsteher, Parteibüros und Politiker, hetzerische Medien und Journalisten, die angegriffen gehören und konkret daran gehindert werden müssen, ihre Tätigkeit weiterhin auszuführen. Was es nicht gibt, sind Gründe, nicht zu handeln.