Einen Monat lang haben dutzende Flüchtlinge den Sendlinger Tor Platz besetzt und haben dann einen Protestmarsch zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg unternommen, um dann, nach ihrer Rückkehr nach München, gleich wieder am Sendlinger Tor ihre Zelte aufzustellen und kurz darauf für einige Tage einen Hungerstreik zu beginnen, was die Bullen dann dazu veranlasste, das Camp zu räumen. Sie kämpfen für ein Bleiberecht für Alle, für ihr rechtliche und soziale Gleichstellung und gegen den Rassismus, den Sexismus und die Ausbeutung und Unterdrückung in der Gesellschaft im Allgemeinen.
Ich bin sowohl beeindruckt von dem Durchhaltewillen der Geflüchteten, die sich keineswegs entmutigen oder kleinreden lassen, als auch von ihrer Direktheit in ihrer Kritik an diesem rassistischen Systems und ihrer Klarheit in der Frage, wie sie sich ihren Kampf vorstellen. So kämpfen sie absolut selbst organisiert und unabhängig, ohne auf irgendeine politische Organisation angewiesen zu sein. Ihr Vorschlag und ihre Aufforderung zu Solidarität richtet sich an alle Menschen, die gegen Unterdrückung und Ausbeutung kämpfen wollen und die ein Interesse daran haben, dass der Kampf der Geflüchteten nicht isoliert wird und ihre Forderungen anerkannt werden. Zudem üben sie eine scharfe Kritik an der Münchner Linken, denen sie vorwerfen sich in ihren Zentren zu verkriechen und die Geflüchteten als reine Objekte zu behandeln, die es nur vor Nazis zu schützen gilt. In harschen Worten beschreiben sie, wie sie die Linke dabei beobachten einzig und alleine auf faschistischen Protest zu reagieren, aber in der Frage aktiver Solidarität mit dem Geflüchteten-Protest initiativ- und regungslos zu verharren. Ich teile diese Einschätzung, dass sich die Linke in antifaschistischen Abwehrkämpfen und selbst geschaffenen Ghettos verliert, voll und ganz.
Im Angesicht der hiesigen Abwesenheit von sozialen Kämpfen denke ich, dass die Frage der Solidarität mit diesem Protest in der Tat von allen Feinden des Rassismus‘ und der Autorität diskutiert und beantwortet werden muss. Aus dem tiefen Verlangen heraus, dass sich anti-autoritäre Kämpfe aus ihrer Isolation befreien und sich in eine aufständische Richtung entwickeln, möchte ich allerdings zwei Fragen zur Diskussion stellen: Wie kann kämpferische Solidarität aussehen, die auf eine Qualität der Ideen und Aktionen setzt, anstatt der Quantität, also den Massen und den Kompromissen hinterher zu rennen? Denn ohne irgendjemandem sagen zu wollen, wie er oder sie ihre Kämpfe zu führen hat, denke ich, dass es ein Trugschluss ist, dass Parteien, Gewerkschaften oder die Presse im allgemeinen (also diejenigen, die für all den rassistischen Scheiß aus Gesetzen, Lohnsklaverei und Hetze mitverantwortlich sind) ein Interesse daran haben, anti-autoritäre Kämpfe zu unterstützen, da die (zu keinem Kompromiss bereiten …?) Kämpfe, wenn sie nicht betrogen, verarscht oder getrennt und isoliert werden, über kurz oder lang die Machtposition eben jener Institutionen in Frage stellen würden.
Kämpfe, die Forderungen stellen, müssen stets reflektieren, ob sie das Spiel mitspielen wollen, in welches sie diejenigen, die die Forderungen erfüllen könnten (also die Herrschenden) integrieren wollen – also ob sie an Verhandlungen, Kompromissen, der Individualisierung von Problemen und Teilerfolgen interessiert sind – oder ob sie schlicht und einfach solange autonom kämpfen und den Konflikt intensivieren wollen, bis die Forderungen (selbst oder von anderen) realisiert werden. Darüber hinaus frage ich mich, wie ein Kampf in der Praxis aussehen kann, in dem jeder, unabhängig von sozialer und rechtlicher Stellung, ein kämpfendes Subjekt ist, ohne dass die einen für die anderen kämpfen, sondern alle gemeinsam auf ihre eigene Art und Weise, ohne dass es zu Hierarchien, Delegation und Machtspielchen kommt. Denn die Mittel der Politiker, als auch die Einladung an diese, sich an Kämpfen zu beteiligen, haben schon allzu oft die Ideale, Perspektiven und Ideen der Revoltierenden verdorben.
Was für Integration?!
Bayern – die Inkarnation von „Heimat und Weltoffenheit“ – wie es im neuen Integrationsgesetz so schön formuliert ist. Weltoffenheit für Kapital, Waren, qualifizierte Arbeitsbienchen und alles, was sich widerspruchslos unter die „heimatlichen-bayerischen“ Sitten und Gesetze unterordnet.
Die Eigenschaft jedes Gesetzes ist es, Leute gewissen Kategorien zu zu ordnen und eine Vorlage zu bilden, anhand derer unzählige Individuen, Problemlagen, und Konflikte vereinheitlicht werden und vermeintliche „Lösungen“ festgelegt werden. In der demokratischen Ordnung macht die einheitliche Regelung von Konflikten den Kerngedanken der Judikative aus: Um das Ausüben von Kontrolle und Bestrafung bei Regelbrüchen zu ermöglichen, müssen erst einmal Regeln definiert werden und dann fixe Vorgehensweisen, was bei deren Übertretung passiert.
In sich schnell verändernden Zeiten, wie diesen, gilt es für den Staat sich unter anderem auf mögliche schwer kontrollierbare Situationen vorzubereiten, indem er auf verschiedenen Ebenen sein repressives Arsenal ausweitet. Das geplante bayerische Integrationsgesetz kann genau in diesem Zuge gesehen werden. Es stellt sozusagen die Schaffung eines präventiven Maulkorbs dar, der im Vorhinein schon auf die Abschreckung vor Normübertretung abzielt. Als Integration wird die absolute Anpassung an vorgefertigte Werte und Verhaltensweisen definiert, verpackt in einem sehr schwammig formulierten „Leitkultur“-Begriff, dem sich alle verpflichten und somit bedingungslos unterordnen müssen. In der Sozialpolitik gibt sich der Staat nun nicht mehr den Anschein ach so tolerant und sozial zu sein, sondern zieht die Richtlinien immer enger: Elemente, die sich nicht kritiklos unterordnen, die sich nicht stumm und brav Allem unterwerfen, müssen sich repressiven Maßnahmen aussetzen oder werden ausgesondert. Dies ist die Grundlage dafür, jeden sozialen Protest einzudämmen und zu verurteilen.
„Es ist verboten, öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften dazu aufzufordern, die geltende verfassungsmäßige Ordnung zu missachten“. „Wer durch demonstrative Regelverstöße, Verunglimpfen oder sonst durch nach außen gerichtetes Verhalten beharrlich zum Ausdruck bringt, dass er die freiheitliche demokratische Grundordnung,[…] ablehnt, kann durch die Sicherheitsbehörden verpflichtet werden, sich einem Grundkurs über die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu unterziehen.“ Dies gilt genauso für „Einheimische“, und stellt so unter dem Deckmantel, „um nicht rassistisch zu sein“ (Zitat aus dem Gesetz), ein weiteres Instrument dar, um jegliche Kritik und Widerstand gegen die Regierung und den Staat im allgemeinen, egal von wem diese ausgehen, zum Schweigen zu bringen. Es wird immer mehr eine Trennung in „Ausländer“ und „Einheimische“ und gar in „Halb- und Viertel-Ausländer“ vollzogen, indem das „von außen kommende, Fremde, Andere“ per sé als mögliche Bedrohung und Einschränkung für das Leben der „Einheimischen“ dargestellt wird, vor der es zu schützen gilt. Durch die restriktiven Gesetze bezüglich Arbeitsverboten für Geflüchtete wird die Erschaffung einer weiteren neuen armen Schicht an Menschen vorangetrieben: Eine neue Schicht von Billiglöhnern (bspw. 0,80 Euro pro Stunde), Auszubildenden oder allgemein aus kapitalistischer Sicht „Überflüssigen“.
Das bayerische Integrationsgesetz kann als eine Kriegserklärung an diese neu konstruierte arme Schicht aufgefasst werden. Zuerst wird versucht die totale Kontrolle über sie zu sichern, um absoluten Gehorsam und vollkommene Unterwerfung unter die vorgegebenen Sitten und Werte zu erzwingen und im Gegenzug wird ein winziger Krümel vom Kuchen angeboten: vielleicht irgendwann mal das Recht zugestanden zu bekommen, hier leben und sich legal ausbeuten lassen zu dürfen, wie all die „Einheimischen“ auch.
Das heißt, jahrelange Demütigung, Erniedrigung und Ohnmacht vor dem gefräßigen, langsamen Bürokratieapparat, die Pflicht die eigene Schnauze halten zu müssen, ständig mit der Drohung im Ohr, die Möglichkeit verwehrt zu bekommen, inweniger prekären Verhältnissen zu leben, als in solchen, aus denen man geflohen ist. Warum wird ein solches Gesetz vorbereitet?
Der Staat sieht sich mit den Folgen seiner Politik konfrontiert: Massenweise Leute, die in Lagern und Traglufthallen eingepfercht leben; kriminelle Milieus, die aufgrund von Arbeitsverboten entstehen… Leute die aus Langeweile, Frustration, Wut, diese ganzen demütigenden Zustände ertragen zu müssen, anfangen sich auf welche Art auch immer aufzulehnen. Solche Zustände könnten Protest, Unruhen und Revolten schüren, wovor der Staat Angst hat und sich rüsten möchte. Wenn sich Widerstand und Proteste den Vereinnahmnungsversuchen durch Staat und staatsbefürwortende Kräfte entziehen, könnten sie eine Gefahr für die etablierte Ordnung darstellen. Im Hinblick darauf und die generelle soziale „Anti-Terror-Alarm-Stimmung“ macht sich der Staat den rassistischen Wind in der Ellenbogengesellschaft zu Nutze, um sowohl Geflüchteten als auch allen anderen die Drohung auszusprechen, dass bei minimalem Aufbegehren gegen Staat und Demokratie horrende Strafen, Ausschluss und Selektion drohen. In faschistischen Allmachtsfantasien schwelgend macht die Regierung klar, was unter „Leitkultur“ verstanden wird: Toleriert wird nur das, was sich ohne wenn und aber Autorität, Marktwirtschaft und Gesetz unterordnet, jede Individualität und Eigenheit ablegt und sich letztendlich der Sittenpolizei unterwirft. Nur dann gehörst auch du zu Deutschland, nur dann, wenn du mehr deutsch als du bist.
Wir wollen uns aber nicht in diese Ordnung integrieren – noch wollen wir sie und ihre Autoritätsgläubigkeit, ihren institutionellen und gesellschaftlichen Rassismus, ihre strukturelle Gewalt und fortschreitende Militarisierung tolerieren. Diese Ordnung kann nur bestehen, wenn wir unsere tagtägliche Ausbeutung und Unterdrückung tolerieren, nur dann, wenn jeder Hauch von Freiheit zur hohlen Fassade verkommt. Die Freiheit, die wir wollen, kann nur auf den verkohlten Fundamenten dieser Ordnung gedeihen… also stampfen wir diese grässliche Grundordnung in Grund und Boden!