übersetzt von sans attendre
Lokale Aktion für eine globale Unordnung
Am Morgen des 13. Juni 2018 fanden die Bewohner*innen des Quartiers Vauban die Fassade des Gebäudes ihrer Friedenswärter*innen mit verschiedener Farbe aufgefrischt und der Inschrift „ihr habt Blut an euren Händen“ und „zweite Mahnung“ vor.
Sie könnten sich berechtigterweise fragen: Wieso wurde das Polizeirevier an der rue Lavoisier angemalt?
Doch die Frage, die diese Aktion stellen möchte, lautet vielmehr: Wieso erleiden Menschen tödliche Schläge von der Polizei? Wieso Sélom, wieso Matisse in Fives letzten Dezember? Wieso Maxime, Student aus Lille, verstümmelt in der ZAD bei Notre-Dame-des-Landes im Mai 2018? Wieso all die anderen, wieso diese unkalkulierbare Anzahl an Polizei-Opfern?
Es scheint sich um eine Problematik des Territoriums und des Rechtsstaates zu handeln. Das Konzept des Staates ist eine Weltanschauung, eine Art zu handeln. Das einzige Instrument, um uns diese Definition schlucken zu lassen, ist die Repression. Das hört sich falsch an: Es ist sehr wohl Gewalt, symbolisch und physisch.
Weil die Gewalt allgemein angewendet wird, systemisch (im neoliberalen System, das uns umgibt, enthalten und darin festgemacht) und manchmal systematisch in Abhängigkeit zum Kontext.
Der Kontext, der die Tage der zwei jungen Bewohner in einem überkontrollierten Quartier beendet hat.
Der Kontext, der einen Studenten verstümmelt hat, der einen Ort des kollektiven Experimentierens in der ZAD verteidigt hat.
Der Kontext, der die Geflüchteten, die Migrant*innen und Sans-Papiers daran hindert, so zu leben, wie sie es wollen, weil ihre Situation als irregulär beurteilt wird.Diese Gewalt, allzeit legitim, wenn wir Gérard Collomb (A.d.Ü.: französischer Innenminister, Gründungsmitglied der PS) zuhören, kann jede*n zu jeder Zeit treffen. Der Akzent liegt aber auch auf den Marginalen und Aussenseitern. Diejenigen, die bereits am Rande stehen und es schwer haben, sich in ein System zu integrieren, das sie alltäglich unterdrückt. Diejenigen, die sich weigern, sich in Bewegung zu setzen (A.d.Ü.: i.O. qui refusent de se mettre En Marche = franz. Regierungspartei von Macron) und sich dem System durch ihre Lebensweise und/oder durch ihre politischen Aktionen widersetzen. Die Männer, die Orte, Squats, Universitäten besetzen; die Frauen, die ihre Strassen, Quartiere und Städte besetzen; die Männer und Frauen, die nicht-passiv demonstrieren, die sich hier und dort zeigen, die träumen, indem sie einen Schrei ausstossen, der allzu oft von einer systematisierten Repression überdeckt wird.
Ein Polizeirevier anzuvisieren, ist demnach nicht nur ein Angriff auf die Institution, die uns direkt angreift, sondern auch ein Angriff auf eine Konzeption der gesellschaftlichen Organisation, in der die Polizei der unabdingbare, verlängerte Arm des Rechts ist. Das aktuelle ökonomische und politische Umfeld ist nur die Konsequenz von historischen Verkettungen und politischen Entscheidungen, die wir berechtigterweise in Frage stellen. Die Vorstellungen der Justiz (der Kult des Gesetzes), der Demokratie (die soziale Ordnung), dessen, was sich eingerichtet hat (die Politik), des Volkes (die Bürger*innen) müssen mit unseren eigenen Worten (vielmehr als mit denen der Regierung) neu definiert werden. Ihr Recht, ihre Justiz, ihre Demokratie, ihre Insitutionen… für welches Volk? Wir rühmen vielmehr den rechtsfreien Zustand.
Einige werden sagen, dass diese Aktion gewalttätig ist. Aber wieso passiv bleiben angesichts ihrer Taten und mit dem Schlagstock auferlegten Ideen? Wir weigern uns, das Gewaltmonopol der Regierung und dessen Verwendung, um soziale Konflikte zu regeln und um jeglichen dissidenten Versuch zu verdrängen, zu verharmlosen. Wir weigern uns, die Systematisierung des Gebrauchs davon zu akzeptieren, mit der jegliche Mobilisierung verhindert wird und diejenigen, die sich abrackern, im Zaun gehalten werden.
Mit unserer Aktion bekräftigen wir, nicht geduldig auf eine generalisierte Revolution zu warten. Wir bevorzugen, vielmehr als blindslings auf einen globalen Aufstand zu hoffen, kleine, unabhängige Inseln von Aktionen gegen einen gemeinsamen Feind. Es gibt keine Trennung zwischen dem Grund unserer Ideen und den Formen unserer Taten zu machen. Der „Vandalismus“ ist eine angemessene Antwort auf die Absurdität der von den Regierenden auferlegten Welt. Stellen wir uns also die Frage: Was ist gewalttätiger, die polizeiliche Maschine oder Worte und Farbe auf einem Polizeiposten?
In allen Fällen, ACAB, All Colors Are Beautiful.
Der Polizeiposten an der rue Lavoisier wurde vor zwei Wochen schonmal angemalt. Trotz dieser ersten Abmahnung sind sie damit fortgefahren, Bullen zu sein. Die zweite Mahnung war kein Luxus, sie war notwendig.
Unterstützung für die Verstümmelten
Kein Vergeben, kein Vergessen für die Ermordeten
Die Polizei hat Blut an ihren Händen
Dies ist eine zweite Mahnung