gefunden auf barrikade
In der Nacht vom 22. April hat eine Gruppe aus 200 – 300 Faschist_innen eine Platzbesetzung von Bewohner_innen von Moria auf der griechischen Insel Lesbos angegriffen. Der Pogrom dauerte die ganze Nacht, es gab auf Seiten der Besetzenden dutzende Verletzte und alles endete mit der polizeilichen Räumung des Platzes.
Anfang letzter Woche hat sich eine Gruppe Bewohner_innen von Moria aus dem überfüllten staatlichen Camp in den Olivenhainen von Moria auf den zentralen Platz von Mytilini, dem Sappho Square, begeben. Die Besetzenden haben sich dort eingerichtet und hielten einen Teil des Platzes Tag und Nacht bewohnt. Die Gründe für den Protest sind vielfältig: In diesen Tagen stirbt ein Freund von ihnen. Sie werfen den Organisationen vor, ihn nicht genügend medizinisch versorgt zu haben. Ausserdem wehren sie sich gegen die Campstrukturen, welche auch mithilfe einiger NGOs aufrecht erhalten werden. Die Protestierenden haben insbesondere Eurorelief und MMS beschuldigt, welche beide in den gefängnisähnlichen Strukturen des Camps tätig sind. Es gab Parolen gegen die UNO genauso wie grundsätzliche Forderungen nach Bewegungsfreiheit.
Szenenwechsel: Jeden Sonntag findet in Mytilini eine Militärparade mit Flaggenzeremonie statt. Dabei wird vom Militär und Nationalist_innen die griechische Flagge auf der Stadthalle eingeholt. Diesen Sonntag sind aus ganz Griechenland Faschist_innen angereist. Nach der Zeremonie haben sie sich auf den Weg zum Sappho Square gemacht. Die Polizei ist zu diesem Zeitpunkt bereits präsent und bildet eine Reihe zwischen den Menschen auf dem Platz und den Faschist_innen. Ca. um 21 Uhr kommt es zu ersten Angriffen: Aus den Reihen der Faschist_innen fliegen zwei Fackeln und einige Steine auf die Menschen. Diese sind sehr überzeugt, den Platz nicht zu verlassen und haben bereits während der Parade begonnen, sich auf die Angriffe vorzubereiten. Sie bilden einen Kreis, in der Mitte sind die Frauen, Kinder und Alten. Rundherum stehen alle anderen, auch einige dutzend griechische und internationale Unterstützer_innen. Die Leute beginnen damit, ein Zelt aus Decken zu bilden, um sich vor den Wurfobjekten zu schützen.
Bis kurz vor 23 Uhr kehrt etwas Ruhe ein. Die Gruppe Faschist_innen scheint sich zu beruhigen und weniger zu werden, es gibt Verhandlungen der Polizei mit beiden Seiten. Die Leute auf dem Platz wollen bleiben, die Faschist_innen machen klar, dass sie sie vertreiben wollen. Es gibt Meldungen aus dem ca. 1 Stunde Fussmarsch entfernten Lager Moria, dass sich viele Menschen aufmachen, um Unterstützung zu leisten. Die Gruppe wird von der Polizei aufgehalten und ins Camp zurück getrieben. Kurz darauf kommt es zu neuen Angriffswellen: Wieder fliegen Gegenstände in Richtung der Menschen auf dem Platz. Diesmal auch Böller, Mülltonnen werden angezündet um die Polizeireihen zu durchbrechen. Die Angriffe verlagern sich auf die Promenade. Zeitweise kommt es zu kleinen Schlägereien, als es Faschist_innen gelingt, neben der Polizeireihe durchzubrechen.
In der ganzen Nacht gibt es viele Verletze, hauptsächlich durch Steine, Flaschen und Böller. Viele Bewusstlose werden weggetragen, nachdem sie am Kopf von Steinen getroffen werden. Es gibt offene Wunden sowie Augen- und Ohrenverletzungen. In nahegelegenen Räumlichkeiten errichten solidarische Menschen eine Krankenstation, in welcher Verletzungen notdürftig behandelt werden. Aufgrund der Ausschreitungen dauert es lange, bis die ersten Krankenwagen eintreffen. Dank der starken Solidaritätsstrukturen auf der Insel sind glücklicherweise schnell einige Ärzt_innen vor Ort.
Kleine Gruppen Faschist_innen schaffen es zeitweise sehr Nahe an die temporäre Krankenstation, so dass die Verletzten notfallmässig von dort evakuiert und auf andere Orte verteilt werden müssen.Mittlerweile ist der faschistische Mob auf mehrere hundert Menschen angewachsen. Zwischen der Promenade und dem Platz stehen zwei Polizeibusse, die die Sicht versperren. Dahinter werfen die Faschist_innen immer wieder Gegenstände auf die Menschen, die noch immer auf dem Platz ausharren. Obwohl es viele Verletzte gibt und immer wieder einzelne Menschen zurückschlagen wollen, achten die Leute auf dem Platz peinlich genau darauf, dass nichts zurückgeworfen und die Faschist_innen nicht provoziert werden. Angesichts der grossen Gefahr und der ausweglosen Situation bleiben die Menschen auf dem Platz erstaunlich ruhig. Stoisch nehmen sie die Angriffe hin und versuchen, die Nacht auszusitzen. Bloss nicht zurück nach Moria! Aber wohin sonst?
Im Zentrum des Kreises ist die Situation besonders absurd. Unter dem Deckenzelt harren die verbleibenden Frauen, Kinder und Alten aus. Sie sehen nicht, was um sie herum geschieht. Kinder schreien, während die Faschist_innen versuchen, genau in die Mitte des Kreises zu treffen. Immer wieder fallen zwischen den Decken, die einen guten Schutz gegen die Steine bieten, Böller nach unten und explodieren zwischen den Menschen. Wiederholt ziehen Tränengasschwaden vorbei und bleiben unter den Decken hängen.Einzelne Gruppen Faschist_innen versuchen von allen Seiten näher an die protestierenden Menschen zu gelangen. Von der Seite werden Steine auf Kopfhöhe geworfen. Es gibt immer wieder Angriffe, bei denen mehrere dutzend Fluggeschosse gleichzeitig über den Bus auf die Menschen fliegen. Darunter massive Steine, Molotowcocktails und grosse Böller. Die Faschist_innen nehmen Tote in Kauf.
Die Polizei hält über den grössten Teil der Nacht eine räumliche Trennung der zwei Gruppen aufrecht. Doch häufig steht nur eine Reihe Polizist dazwischen. Die Menschen auf dem Platz befinden sich weiterhin in Wurfdistanz. Zeitweise setzt die Polizei Tränengas, Pfefferspray und Schlagstöcke ein, um die Faschist_innen zurückzutreiben. Das gibt zwar kurzzeitig etwas Raum, jedoch wird kein Versuch unternommen, die Faschist_innen auf Distanz zu halten. Lange sind viel zu wenige Polizisten anwesend. Viele sind wohl noch damit beschäftigt, die zur Unterstützung losgelaufenen Menschen aus Moria aufzuhalten. Erst zum Schluss, bei der Räumung des Platzes, treffen neue Busse mit Polizisten ein.
In dieser Nacht zeigt sich das rassistische Gesicht der griechischen Polizei.
Um 4 Uhr treibt die Polizei die Faschist_innen noch einmal weit weg und hält sie auf Distanz. Gleichzeitig beginnt sie damit, die Menschen auf dem Platz zusammenzudrängen. Unterstützer_innen werden angegriffen und mit Pfefferspray vertrieben. Die verbleibenden ca. 130 Menschen werden von den Polizisten eng eingekesselt. Als klar wird, dass sie nicht freiwillig in die bereitgestellten Busse einsteigen werden, benutzt die Polizei Pfefferspray und physische Gewalt. Dabei kommt es zu letzten wüsten Szenen. Die Polizisten schlagen die Menschen, treten sie, schleifen und zerren sie an den Haaren über den Platz.
Nach den über 8 Stunden andauernden Angriffen durch die Faschist_innen, werden die Menschen festgenommen und mit dem Bus ins Gefängnis gefahren. Es ist noch unklar, ob und welche Anklagen erhoben werden. Daneben werden auch vier griechische Aktivist_innen von der Polizei abgeführt. Von den grösstenteils unvermummt agierenden Faschist_innen sind alle auf freiem Fuss.
Am nächsten Tag hören wir im Deutschlandfunk, dass es in Mytilini «Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen und aufgebrachten Bürgern» gegeben habe.
Einige Antifaschist_innen, die in der Nacht auf dem Platz waren.