Der Feind steht Kopf

gefunden in der Revolte – anarchistische Zeitung aus Wien Nr. 25

Einige Texte wurden in dieser Zeitung schon zur neuen österreichischen Regierung geschrieben. Doch die Entwicklungen in diesem Land folgen einem Trend, der sich längst in weiten Teilen der Welt verbreitet hat. Die alte sozialdemokratische Vorherrschaft scheint sich in Auflösung zu befinden. Der ’neue Stil‘, von dem Kurz und Strache sprechen, spiegelt all die neuen Grundlagen wieder, mit der die krisenhafte kapitalistische Ausbeutung fortgesetzt werden soll. Abschottung, Nationalismus, Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen, Kontrolle der Medien, Ausbau von Militär- und Polizeistrukturen, Beschneidung von sozialen Absicherungen und Arbeitsrechten, Arbeitsflexibilisierung, Ausbau von Digitalisierung und Überwachung usw. Doch das ist nicht nur das neue Gesicht Österreichs, sondern die hässliche Fratze des Europas im 21. Jahrhundert.

Nach den Wahlsiegen von Rechten und Konservativen rund um die Welt wurde der Sieg von Alexander Van der Bellen gegen Norbert Hofer im Herbst 2016 als „Sieg der Vernunft“ gefeiert. Ein außerordentlicher Zynismus, dass gerade Van der Bellen nun eine Regierung von FPÖ und ÖVP angelobt hat. Während sich die Mehrheitsgesellschaft in Österreich selbst anlügt, dass nämlich die heutige FPÖ eine gemäßigtere sei als 2000, genau das Gegenteil ist aber der Fall! Wir wollen hier alle, die an Gedächtnisverlust über die jüngere österreichische Geschichte leiden, daran erinnern, dass die FPÖ im Jahr 2000 noch einen wirtschaftsliberalen Flügel hatte. Dieser verabschiedete sich durch den sogenannten ‚Knittelfelder Parteitag‘ im Jahre 2002 aus der FPÖ oder besser: wurde verabschiedet. Ein Teil dieser Personen wird übrigens in den letzten Jahren und auch in der aktuellen BUWOG-Affäre der Prozess wegen Korruption gemacht. Seit dem ist in der FPÖ das deutsch-nationale Lager vorherrschend.

Dass diese Regierung fast ausschließlich aus Rechtsextremisten und ManagerInnen besteht, sollte jedem klar sein, der einen letzten Funken Verstand im Schädel hat. Jene, die diese Offensichtlichkeit abstreiten, sind wohl auch nicht mehr vom Gegenteil zu überzeugen, deshalb werden wir diese Diskussion hier auch nicht mehr länger bemühen.

Über die Wahrheit

In der wirklich verkehrten Welt ist das Wahre ein Moment des Falschen.“

Die Gesellschaft des Spektakels. Guy Debord

Die Wahrheit ist im digitalen Zeitalter ein knappes Gut geworden. Sie verkauft sich schlecht. Mit ihr lässt sich kein Wahlkampf machen und niemand zur Arbeit zwingen. Während die Sozialdemokratie einem ideologischen Konstrukt von Befriedung und Rekuperation gefolgt ist, dem man zustimmen oder es als korrumpierendes Instrument zur Verhüllung des Klassenkonfliktes bekämpfen konnte, haben diese Fakten an Wert verloren. Geschehnisse und Tatsachen sind zu bloßen Meinungen verkommen. Diejenigen, die am adäquatesten auf diesen Trend reagiert haben, sind die Reaktionären. Die Rechte hat durch diese Taktik von Verdrehung und Manipulation in unzähligen Ländern die Wahlen gewonnen und sitzt nun in den Regierungen.

Die Anderen

Was in ganz Europa nicht erst seit der sogenannten Flüchtlingskrise passiert, ist eine beharrliche Konstruktion des ‚Anderen‘. Derjenigen, die nicht dazugehören. Dabei wird jedes Vergehen, egal ob wirklich passiert oder erfunden, präzise herausgeschält und von der Presse vermarktet.

Die Umkehrung des Klassenverhältnisses dient in einer Gesellschaft, in der nahezu jeder Mensch Teil der herrschenden und besitzenden Kaste sein will, zur Legitimation der Herrschaft selbst. Der Wettlauf und die Konkurrenz um alle Profite, egal ob sozial, gesellschaftlich, finanziell, religiös, kulturell oder politisch dienen zur Vernichtung des Gedankens an den Aufstand und die Revolte. Je mehr Kategorien von den Herrschenden eingeführt werden, desto geringer ist das Risiko, dass es eine Solidarisierung und in weiterer Folge eine mögliche Erhebung unter den Ausgebeuteten gibt.

Der Hass auf die herrschende, besitzende Klasse kehrt sich immer mehr in eine Abneigung gegen die Habenichtse, vor allem gegen Fremde. Und das in der Regel immer stärker, je ärmer man selber ist. Fremdenhass und Angst sind längst wieder zu einem nicht mehr wegzudenkenden politischem Steuerungselement geworden. Eine neue Methode, die zur Förderung des Sozialkannibalismus und der Konkurrenz zwischen den Ausgebeuteten fungiert. Der Hass auf die Anderen dient als Machtabsicherung für die Herrschenden.

Das Lager

Das Lager ist neben dem Gefängnis wieder zum integralen Bestandteil von Repression und Ausschluss geworden.

Was macht es für die Herrschenden für einen Unterschied, wenn wir nicht rebellieren, weil wir vollgefressen oder verängstigt sind? Der Geflüchtete zeigt der europäischen Gesellschaft der ‚Freiheit‘ und des ‚Friedens‘ ihre eigene Lebenslüge auf. Dass der schier grenzenlose Konsum und die Selbstgerechtigkeit, die geschaffen wurde, um uns ruhig zu halten, nur wackelige Konstrukte sind, die niemals für alle Menschen real werden können.

Aus diesem Grund müssen die „Anderen“, die der Gesellschaft ihre Verletzlichkeit und Arroganz vor Augen halten, ausgeschlossen und an einem Ort zusammengefasst werden, an dem es keine Vermischung mehr geben kann. Und genau das sind auch die Vorschläge eines Johann Gudenus von der FPÖ, wenn er die Unterbringung von Migrant_innen am Stadtrand verlangt. Diejenigen in Lagern zu konzentrieren, die nun auch von den billigsten Verheißungen des Kapitalismus ausgeschlossen werden: Dem Smartphone und der Sozialhilfe.

Am besten für Europa wäre es jedoch: Sie kommen gar nicht so weit. Aus diesem Grund hat die EU schon seit geraumer Zeit Deals mit Machthabern jenseits der europäischen Außengrenzen gemacht. Beispielsweise mit diversen bewaffneten Gruppen in Libyen. Damit diejenigen, die ihren Weg nach Europa machen wollen, dort interniert werden. In diesen Lagern werden sie systematisch misshandelt und müssen unter miserablen Bedingungen hausen. Das ist es, was so simpel hinter der Forderung ‚Schließung der Mittelmeerroute‘ von Sebastian Kurz steckt.

Fortschritt und Geschwindigkeit

Die Autorität hat ein hochgezüchtetes Netzwerk erschaffen, das sich immer mehr verselbständigt. Die täglichen Entwicklungen überschlagen sich, wir können dem Fluss an Informationen nicht mehr folgen. Diese Tatsache erlaubt es den Herrschenden auch, uns ständig mit neuen Angriffen auf unser Leben zu konfrontieren und bevor wir auf eine geplante Schweinerei antworten können, ist sie bereits beschlossen, eingeführt, im Gesetz verankert und wird praktiziert. Und die nächste befindet sich schon in Vorbereitung. Unsere Zeit ist rasend schnell geworden. Wer mithalten will, muss sich anpassen.

Der Feind steht Kopf. Er verrenkt sich in alle Himmelsrichtungen, um uns in sämtlichen Lebensbereichen die richtige Schablone aufzuzwingen. Um immer als erster zu den wichtigen Fragen des Lebens eine vorgefertigte Meinung zu propagieren. Bevor wir uns selbst ein eigenes Bild von den Umständen machen können, kommen die Medien bereits mit 1000 Schlagzeilen, um unsere Gedanken zuzuscheißen. Um unsere Fantasie und unsere Vorstellungskraft zu zerstören. Wenn ihr mich fragt, bleibt angesichts dieser Umstände nur ein einziger Weg übrig: Den Gegensatz zu all ihren billigen Vorschlägen zu zelebrieren. Vernichtet jede Form der Autorität zur sich am besten bietenden Gelegenheit. Angriff!