Eine weitere Person in den Kerkern des Staates gestorben

übersetzt von renversé

Am 24. Oktober stirbt ein 23-jähriger Mann in der Haftanstalt „la Blécherette“ in Lausanne. Die Umstände sind noch nicht geklärt, doch schliessen die Medien Dritteinwirkung bereits aus. Die Polizei eröffnet eine Untersuchung, mehr aus Pflicht als um die Umstände zu klären. Nach drei Tagen weiss die Polizei, dass die verhaftete Person in der Tat eine andere war, als sie dachte. Man sieht also, die Untersuchung kommt gut voran… Für die Anhänger_innen der Herrschaft ist auf jeden Fall bereits alles gesagt. Die Polizei macht ihre Arbeit, die Gefängnisse funktionieren und das solide Fundament des Strafvollzugssystems sollte nicht durcheinandergebracht werden. Die Gründe für diesen x-ten Tod im Knast interessieren uns nicht. Ein Tag im Knast ist bereits einer zuviel und man sollte diese als das betrachten, was sie sind: Ein Ort, an dem man widerspenstige Individuen bricht, isoliert, tötet.

Dieses Jahr sind dutzende Personen in den Gefängnissen gestorben. Sehr oft durch Selbstverstümmelung, was das Mass der Hoffnungslosigkeit der Gefangenen zeigt.

– Im November letzten Jahres nimmt sich eine 61-jährige Frau im Regionalgefängnis von Thun das Leben.
– Am 7. Dezember ist es ein 21-jähriger Mann im Regionalgefängnis von Bern: Suizid.
– Im Februar sterben im Gefängnis von Muttenz in der Nähe von Basel zwei Personen. Beide durch Suizid.
– Im Juni ist es ein 29-jähriger Mann im Gefängnis von Champ-Dollon in Genf. Suizid.
– Im Juli erhängt sich im Gefängnis La Croisée bei Orbe ein Mann.
– Im September weigert sich ein Gefangener im Gefängnis Bochuz, nach dem Spaziergang in seine Zelle zurückzukehren, steigt auf das Dach und droht, sich selbst umzubringen. Nachdem er von den Beamten gepackt und in die Isolationszelle gesteckt wird, verwüstet er diese noch am selben Tag.
– Am 25. Oktober wird ein 61-jähriger Mann tot im Untersuchungsgefängnis Ferrara im Tessin aufgefunden.

Dieste Liste tut weh und sie ist sicherlich nicht vollständig. Sie zeigt aber eine brutale Kontinuität auf und dass der jüngste Tod in Lausanne nicht isoliert ist. Das ist nicht normal, nein. Ob es sich um einen Suizid, eine Herzkrankheit oder um was auch immer handelt, das ist keine Banalität.

Die Revolten existieren auch in den schweizer Gefängnissen und man erinnert sich noch an die schönen Meutereien im Champ-Dollon zwischen 2011 und 2014. Doch sind die Momente der Aufsässigkeit innerhalb der Knäste im generellen nicht so spektakulär und die Medien bemühen sich nicht, die Informationen zu teilen. Es kann sich dabei um die Weigerung handeln, nicht in seine Zelle zurückzukehren, um gegen die Haftbedingungen zu protestieren, um Briefe an den Direktor, um die Verwüstung seiner Zelle, um Kidnapping eines_r Wärter_in oder um einen Aufruhr. Es ist jedes Mal ein Schrei der Wut, der Hoffnung und des Leids.

Wir erinnern uns auch noch, was aus der „Affäre Skander Vogt“(1) wurde, die die Mauern der Gefängnisse kaum erschüttert hatte. Die Aasgeier der linken Politik waren gerührt, die Presse war ab der Situation in den Knästen beunruhigt, die Justiz und die Polizei versicherten, dass neue Gefängnisse gebaut werden, moderne dieses mal… selbstverständlich. Für die Mächtigen war das Problem also gelöst. Und die Liste der Toten und der Revolten in den Knästen wird immer länger.

Die Gefängnisse bleiben immer Orte, an denen die Unerwünschten in düsteren Betonzellen abgestellt werden, dem Licht und der Luft beraubt, getrennt von ihren Freund_innen und ihrer Familie. Ein Ort, an dem man ungestraft verprügeln kann, an dem Druck auf ohnehin schon geschwächte Menschen ausgeübt wird, an dem man in vollster Ruhe demütigen kann.

Mit dem modernen Vokabular lässt sich dieser Ort so gut schönreden, ökologisch nachhaltig, Resozialisierung, ultra high-tech Sicherheitsblablabla… Sie werden weiterhin zerstören und töten. Diese Änderungen stehen mehr in der Logik der Semantik als dass sie die Lebensbedingungen im Innern verbessern würden. Sie dienen dazu, sich ein gutes Gewissen einzureden, die empörten Bürger_innen zu beruhigen, die im Knast nur ein Problem der Überbevölkerung sehen. Und natürlich zieht der Bau von neuen Knästen die Geier an, die ihr Geld auf dem Rücken der Misere machen (Baufirmen, Zeitarbeitsfirmen, Banken und Architekten).
Ahhh die Macht der Worte, stets geschickt eingesetzt von den Anhänger_innen der Herrschaft. Ein Gefängnis für Menschen, die nicht über die richtigen Papiere verfügen, nennt sich „Empfangszentrum für Flüchtlinge“ und ein Krieg wird zu einer „humanitären Intervention“.

In der gleichen Manier gaukelt man uns heute die Illusionen über die Strafanstalten vor, indem ihre „Humanität“ hervorgehoben wird. Doch menschliches Einsperren gibt es nicht. Das Ziel davon ist, die Individuen moralisch wie physisch zu brechen, den Armen, den potentiellen Rebell_innen und allen Unerwünschten eine Welt aufzuzwingen, die auf der Herrschaft und dem Geld basiert. Das Gefängnis folgt der Kontinuität anderer Institutionen der Unterwerfung; das Patriarchat, die Schule, die Religion, die Justiz…

Draussen
Ausserhalb des Gefängnisses ist die Kontrolle allgegenwärtig, auch wenn sie versteckter und weniger erdrückend ist. Die Bullen führen das Gesetz aus, Kontrolle von Armen, Knüppel und Prügel. Die Justiz führt aus, verurteilt… in Abhängigkeit zur Person, die beschuldigt ist. Man verlangt von allen, sein_ihre eigener_eigene Unternehmer_in zu sein, sich an der Verwaltung der Misere zu beteiligen, hart zu arbeiten, um einige Krümel abzusahnen. Das Überleben wird immer schwieriger und gleichzeitig richten sich die Reichen ganz gemütlich in den neuen Luxusquartieren ein. Das Leben gleicht einem Gefängnis unter offenem Himmel. Die Bahnhöfe und die Metrostationen mit ihren intelligenten Überwachungssystemen gleichen immer mehr den Checkpoints. Architektur und Urbanismus sind die Mittel, um das Territorium zu kontrollieren und die Reichen zu beschützen. Ghettos für Arme, Ghettos für Reiche. Es ist ein Totentanz durch die Metropole.

Man will aus uns gehorsame, konforme Wesen machen. Man will uns den Regeln unterwerfen und wenn man sich weigert, werden wir ins Gefängnis gesteckt, wo man lange Jahre dahinvegetiert und eine permanente Kontrolle über unser Leben ausgeübt wird.

Zum Glück gibt es heute noch Menschen, die nicht resignieren und diejenigen angreifen, die ausbeuten und unterwerfen. Durch verstreute und diffuse Revolten in Basel und Zürich in den letzten Jahren wurde das Spiel der Normalität durchbrochen.

In Basel soll ein neues Gefängnis gebaut werden. Und die Aasgeier, die mit Freude an die Arbeit gehen, um die „Unerwünschten“ einzusperren, kommen nicht ungeschadet davon. Mehrere Fahrzeuge der Implenia, Bauherrin und eine der „Leaders“ im Bausektor der Schweiz gingen in Flammen auf. Wilde Demonstrationen zogen durch die Stadt oder vor die Knäste, um Feuerwerk zu zünden und Solidarität zu zeigen.

Es ist immer möglich, die Herrschaft anzugreifen. Diese Angriffe werden das Projekt nicht aufhalten, doch ist dies kein Grund sich damit abzufinden. Denn immerhin erwärmen sie die Herzen derjenigen, die da draussen sind und offene Rechnungen mit der Macht und der Herrschaft zu begleichen haben und zeigen den Eingesperrten eine praktische Solidarität. Diese Angriffe zeigen, dass sie nicht alleine sind und dass ein Kampf gegen die Hölle des Gefängnisses möglich ist. In der Schweiz ist es im Gegensatz zu dem, was wir manchmal hören, nicht schwieriger als anderswo. Gehen wir ebenfalls mit ganzem Herzen und Freude an die Sache. Lassen wir die Polizei, die Knäste, die Justiz ihre dreckige Arbeit nicht in Ruhe erledigen.

Es ist möglich, Verbindungen zwischen drinnen und draussen herzustellen, die Revolten im Innern aufzugreifen, zu unterstützen, rund um die Lebensbedingungen im Knast und für die Zerstörung derer zu agitieren. Die Mauern, die die Herrschaft zwischen uns errichtet, sind nicht unerschüttlich. Seien wir kreativ. Vom Verteilen von Flugblättern an die Familien und Freund_innen der Inhaftierten vor den Knästen, dem Briefeschreiben an die Gefangenen, ein bisschen Gras oder ein Telefon über die Mauer werfen, die schönen, glühenden Ausflüge in der Nacht, Dynamit. Solange sie die Liebe zur Freiheit für alle in sich tragen, sind alle Mittel gut.

Schaffen wir uns die Möglichkeiten unseres kollektiven Ausbruchs.

Feuer den Knästen.
Freiheit für alle.


(1) 2010 erstickt Skander Vogt in der Hochsicherheitsanstalt von Bochuz bei Orbe, nachdem er die Matratze in seinem Zimmer in Brand gesetzt hat. Nach 12 Jahren hinter Gittern, davon 5 in Isolation, zwischen den Gefängnissen hin und her geschoben, fügte sich der Gefangene noch nicht seiner Situation. Er beschimpfte und attackierte die Wärter weiterhin regelmässig, um gegen die Einsperrung zu protestieren. Für ein paar Monate im Knast gelandet, verlängert sich sein Aufenthalt ein ums andere Mal wegen den Ausbrüchen des Ungehorsams. Er verweigerte sich der Erpressung der Wiedereingliederung, die die aktive Teilnahme der Gefangenen an der Gefangenschaft vorsieht, indem man zum Beispiel für ein paar Groschen jeden Tag arbeitet. Als Zeichen seines Protestes gegen die Inhaftierung steigt er im Juli 2008 aufs Dach. Nach mehr als 30 Stunden wird er von der Spezialeinheit der Gendarmerie (DARD) runtergeholt. In der Nacht vom 10 März 2010 setzt er seine Zelle in Brand. Die Wärter lassen ihn während zwei Stunden alleine im Rauch, bevor sie ihn rausholen, tot. 8 Wärter werden freigesprochen, ein Wärter wird zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt.