der Broschüre „Der lange Sommer der Repression – Zum ‚Umzug gegen Rassismus, Repression und Vertreibung‘ am 24. Juni 2016 in Basel“ entnommen
Der Begriff Grenze wird in erster Linie als geografische Trennung verstanden, die ein staatliches oder städtisches Territorium von einem anderen abgrenzt. Teilweise werden diese Gebiete durch ‚natürliche Hindernisse‘ wie Flüsse oder Gebirge definiert, in anderen Fällen wurden sie in kolonialer Manier mit dem Lineal gezogen. In allen Fällen bestimmen sie ein Gebiet, das autoritär beherrscht und verwaltet wird und als solches gegen Aussen beschützt und verteidigt werden muss. Hierbei ist die Grenzsicherung mit Schutzanlagen (Mauern, Zäune, etc.) und -personal (Polizei, Armee, etc.) nicht etwa erst mit den „neusten“, durch die planetare Katastrophe ausgelösten, Migrationsbewegungen aufgekommen. Genauso wie die Kriege, die aufgrund von Grenzstreitigkeiten und territorialen Machtansprüchen geführt werden, altbekannte Widerlichkeiten und Teil jeglicher Herrschaft sind.
Gegen Innen wiederrum kommen andere, scheinbar weniger direkt agressive Methoden zur Kontrolle und Beherrschung der Menschen zum Spiel, ändert aber nichts an der immerwährenden Absicht zur Aufrechterhaltung, Absicherung und zum Ausbau der bestehenden Machtverhältnisse innerhalb des nationalen Konstrukts.
Um zu den Begriffsdefinitionen zurück zu kommen: Eine Grenze ist allgemein etwas eingrenzendes, limitierendes, beschränkendes. Sie ist eine in Blut getränkte Definition von Raum, sie ist aber immer jedes einzelne Hindernis in unser aller Leben, mit eben diesem Leben und seinem Potenzial zu experimentieren. Die Möglichkeit sich in alle Richtungen frei zu bewegen, frei zu entwickeln, frei zu denken, frei zu entscheiden und nach diesen Entscheidungen zu handeln, wird durch verschiedenste Arten von Grenzen eingeschränkt. Der Zaun oder die Mauer ist offensichtlich: Du sollst hier nicht weiter! Die Schule, der Chef, das Gesetz, der Knast, das Eigentum, das Geld, die Religion, der Staat sind es leider weniger. Gemeinsam ist ihnen (und gewiss gäbe es dem viele weitere Institutionen, Normen und Mechanismen, die nicht immer ganz so offen auftreten, hinzuzufügen) aber allen, dass sie dich in eine vordefinierte Welt zwängen, die in einen immer engeren und stählernen Rahmen gepresst wird, der du in ihrer Gesamtheit nicht entkommen kannst, in dessen Dienst du aber vor allem dein ganzes Leben stellen sollst. Dem Fortbestehen und Fortschritt einer Welt dienen, die auf Unterdrückung, Ausbeutung, Verwüstung und Kriegen aufbaut und somit Millionen von Menschen zur Flucht treibt, um etwas anderes, besseres, freieres zu finden. Das aber nirgendwo gefunden werden kann in dieser Welt, in der das Prinzip der Herrschaft überall zu Unterdrückung und Verfolgung führt. In dieser Welt, die bis ins Mark an Fäule leidet.
Viele fragen sich, was man gegen die verheerenden Folgen der europäischen Festung ausrichten kann. Einerseits kann das Offensichtliche als Antwort auf diese Frage gegeben werden: Hilfe organisieren, Kleider, Essen, Schlafmöglichkeiten bereitstellen, zusammen Häuser besetzen, Menschen über Grenzen bringen, auf die verschiedenen Institutionen, Profiteure und anderen Verantwortliche des Elends aufmerksam machen, die kleine Räder in der Verwaltungs-, Einsperrungs- und Abschiebemaschine darstellen und als solche sabotiert und gestört werden können. Was dieser Frage aber immer zugrunde liegt, ist der Blick nach Aussen, der Blick weg von seiner eigenen Situation, seinen Wünschen und Sehnsüchten. Es ist demnach also viel einfacher, auf diese alte Frage des „was tun?“ zu antworten: Dein Leben wird durch tausend verschiedene Gesetze, Normen und Zwänge eingeschränkt? Dann zerbrech diese Grenzen! Die Festung gegen Aussen funktioniert genau darum, weil sie im Inneren akzeptiert und getragen wird. Uneingeschränkte Bewegung wird da möglich, wo die Macht über den Mensch, seine Entscheidungen und sein Körper hinweggefegt wird.
Offene Grenzen zu fordern, ohne die Macht über Menschen an sich zu negieren, läuft so oder so in eine Sackgasse: Die Grenze ist fester Bestandteil jedes Staates, der „sein Gebiet“ unter Kontrolle behalten muss; Viel wichtiger aber, das Leben und die unendlichen Vorschläge der Freiheit werden nicht nur von dieser einen „Grenze“ beeinträchtigt. Die Festung muss also als Ganzes verstanden werden, um zu einer freiheitlichen Perspektive zu gelangen, und das nicht nur in Zeiten, in denen der Sicherheitswahn und die Repression weite Teile des Alltagsgeschehens dominieren. Und hier entsteht der Vorschlag, die Festung in alle Richtungen, auf allen Ebenen zu bekämpfen und zu zertrümmern, bis die letzte Grenze, die uns an einem freien Leben hindert, niedergerissen wurde.
Der Soldat, der mit gezogener Schusswaffe die Grenze beschützt, ist die gleiche Festung, wie der Soldat, der seine Herren mit allen Miteln verteidigt und auf Befehl in eine aufständische Masse zielt. Der Bulle, der Sans-Papiers jagt, ist die gleiche Festung, wie der Bulle, der permanent herumfährt, beobachtet, einschreitet, kontrolliert, festnimmt, einsperrt. Das Bauunternemen, das am Bau eines neuen geschlossenen Lagers für Flüchtlinge verdient, ist die gleiche Festung, wie das Bauunternehmen, das am Bau einer neuen Schule beteiligt ist. Der Technologiekonzern, der die Aussengrenze mit irgendwelchen sagenhaften Technologien bereichert, ist die gleiche Festung, wie das Technologieunternehmen, das Videokameras mit integrierter Gesichtserkennungssoftware entwickelt. Die Universität, die das Wissen zur effizienten Grenzsicherung liefert, ist die gleiche Festung, wie die Universität, die an Gentechnologie herumtüfftelt. Das Zugunternehmen, dass Menschen deportiert, ist die gleiche Festung, wie das Zugunternehmen, das die menschliche Ware Tag für Tag zu ihrem tristen Arbeitsplatz (nicht nur ein Ort der dem Leben fremden Tätigkeit und Ausbeutung, sondern auch ein Ort, der diese gesellschaftlichen Verhältnisse tagtäglich produziert und reproduziert) fährt. Die Partei, die an kontrollierten Grenzen oder Abschiebungen festhält, ist die gleiche Festung, wie die Partei, die behauptet, die Gesellschaft müsse autoritär verwaltet werden. Die Viedokamera, die alle Bewegungen an den Grenzen aufzeichnet, ist die gleiche Festung, wie die Überwachungskamera gleich ums Eck. Die DNA-Datenbank oder -Analysestelle, die den Migrant_innen bei ihrer Ankunft sogleich die Fingerabdrücke nehmen und diese in immensen Datenbanken eingliedern, ist die gleiche Festung, wie die DNA-Analysestelle, die von allen potentiellen Delinquent*innen und ihren Taten die Spuren sichert und auswertet etc…
Es gäbe immer mehr, das man aufzählen könnte.. Doch wiederholt es sich und wird langweilig. Der Punkt sollte klar sein.
In alle Richtungen: Festung verwüsten! In alle Richtungen: Freiheit!