Zürich: Karawane gegen das Lagersystem

gefunden in der Dissonanz Nr. 28 – anarchistische Strassenzeitung
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Am Mittwoch, dem 18. Mai, startete in Kemptthal eine mehrtägige Kara­wane von Menschen mit unterschied­lichem Aufenthaltsstatus. Sie richtete sich gegen das Lagersystem, das vom Staat betrieben wird, um Geflüchtete gesellschaftlich zu isolieren, um sie zu kontrollieren, und um sie abhängig und gefügig zu machen. Asyllager be­treffen jedoch nicht nur Geflüchtete, sondern sind eine logische Antwort auf die Frage der Verwaltung und Kontrolle der Gesellschaft, die sich ein Staat, egal welcher Herrschafts­form er sich bedient, stellen muss, um seine Existenz aufrechtzuerhalten. Im ganzen Kanton Zürich (sowie natür­lich in jedem anderen Kanton) gibt es dutzende solcher Lager, in denen Ge­flüchtete gezwungen werden zu leben. Die Karawane, die sich mehrheitlich zu Fuss bewegte, ging also von Lager zu Lager, von Bunker zu Bunker, um die Isolation zu durchbrechen und um die dort lebenden Menschen zu motivieren, sich ihr anzuschliessen. Die Route führte am Mittwoch von Kemptthal nach Embrach, wo sich ein kantonales Lager befindet, das in den kommenden Jahren zu einem Bun­deslager umfunktioniert werden soll. Embrachs viel befahrene Hauptstrasse wurde durch die Karawane blockiert und die verzweifelten Kapo-Bullen waren sichtlich überfordert mit der Situation, flehten sie die Fahrer des Traktors doch immer wieder an, bitte unabhängig vom Umzug vorauszufah­ren, damit der Verkehrsfluss gewähr­leistet bleibe – vergeblich.

Beim Lager angekommen, versuch­ten sie dann doch noch, einen Ausweis zu erzwingen, was erfolgreich verhin­dert werden konnte. Nun, da die lo­yalen Gewalttäter des Staates endlich verschwunden waren, wurde im und vor dem Lager diskutiert und mehre­re Menschen entschlossen sich, mit der Karawane zum nicht weit entfern­ten, selbstorganisierten Zelt-Schlaf­platz zu gehen. Am nächsten Tag ging es zum Lager in Bülach, wo bis zu 140 Menschen von der ORS AG einge­lagert werden. Die Betreiberfirma war natürlich nicht erfreut über den Besuch, ist dessen Lagerleiter doch stets darum bemüht, Geflüchtete mit Sanktionen jeglicher Art einzu­schüchtern und zu marginalisieren. Sein gockelhaftes Verhalten mit Dro­hungen gegen Karawane-Teilnehmer löste bei einigen eine Wut aus, die sich an den Reifen seines dort parkierten Autos entlud. Wieder angewachsen, wanderte der Umzug (teils zu Fuss, teils mit Autos) zum nächsten solida­rischen Schlafplatz. Wie auch schon am Abend zuvor, wurde auch an die­sem Abend lange diskutiert, Erfah­rungen ausgetauscht und der Plan für den nächsten Tag geschmiedet; denn am Freitag sollte es in die Stadt Zürich gehen! Da öffentlich dazu aufgerufen wurde, sich der Karawane anzuschlie­ssen, zählte der Umzug am Freitag ca. 150 Teilnehmer, der von Affoltern nach Oerlikon zog, den Verkehr blo­ckierte, und zwei Orte besuchte – die von der AOZ geführten Lager an der Regensbergstrasse und in der Messe­halle 9 beim Hallenstadion. Wieder entschlossen sich Geflüchtete aus den betroffenen Lagern, sich der Ka­rawane anzuschliessen, die dann zum Bhf Oerlikon zog und spontan per 1. Klasse unbezahlt mit dem Zug nach Altstetten reiste. Mit guter Stimmung wurde das letzte Lager auf der geplan­ten Route besucht; das Test-Bun­deslager Juchhof, in dem bis zu 300 Menschen leben müssen. Schnell wurde das Tor geöffnet und mit den Menschen vor Ort über die Idee der Karawane diskutiert. Zum Schluss, als sich der Umzug aufmachte, wurde noch die eine Hälfte des Eingangtors abmontiert und weggeschleppt, um den Verantwortlichen – der AOZ, der SIP und neu auch der Protectas AG – zu zeigen, dass ihre Zäune nicht standhalten, wenn Menschen bereit sind, ihre Würde zurückzuholen.

Nach langen Diskussionen am Frei­tagabend, motiviert von den letzten drei Tagen und voller Wut darüber, dass die Polizei einen Gefährten der Karawane am Donnerstag nachts in ei­nem Bunker festnahm und einsperrte, stand der Plan fest; am Samstag sollte der Clubraum der Roten Fabrik be­setzt werden, in der sich am gleichen Wochenende die linke Bourgeoisie durch das kritische Theaterstück «Die Schutzbefohlenen» berieseln lässt. Und genau so kam‘s: Der Clubraum der Roten Fabrik wurde besetzt und die kultivierte Oberschicht, die gleich gegenüber Flucht und Elend als Ware konsumierte (unter ihnen auch der Kommunikationsbeauftragte der AOZ, Thomas Schmutz, der nach der Show Wasser über den Kopf geleert bekam) war sichtlich irritiert. Die Be­setzung hält auf unbestimmte Zeit an und die Debatte über die Zukunft ist in vollem Gange. Fortsetzung folgt…