übernommen von Fernweh Nr. 16 – Anarchistische Strassenzeitung
Nachdem das Thema „Grexit“ nun erst mal vom Tisch und die Situation in Griechenland für die nach Einschaltquoten und Verkaufszahlen kreischenden Mediengeier somit uninteressant geworden ist wurde ein neues Thema auf den Plan gerufen, das täglich für Schlagzeilen sorgt. So werden wir seit geraumer Zeit von immer neuen Rekord-Ankunfts-Zahlen, Berichten über das x-te „Unglück“ mit dutzenden oder hunderten von Toten und rührigen Bildern vom „hellen Deutschland“ der Hilfsbereitschaft gegenüber denen vom „dunklen Deutschland“ der brennenden Asylunterkünfte bombardiert.
Für ein paar Wochen können jetzt die Medien den Hals gar nicht voll bekommen vom „Flüchtlingsproblem“, solange, bis die Politik auch dafür eine „Lösung“ gefunden hat, die zwar in keinster Weise die Probleme der Betroffenen löst oder deren Leid mindert, dafür aber die Schar aufgeregter Bürger soweit zufrieden stellt, dass sie das Interesse dafür, was mit flüchtenden Menschen in und um Deutschland bzw. Europa passiert, wieder verlieren. Dann geht alles wieder seinen gewohnten Gang: die, die sterben, tun es von weniger Kameras begleitet, Asylverfahren oder Sofort-Abschiebungen in „sichere Herkunftsländer“ – also Staaten, bei denen davon ausgegangen wird, dass von dort Flüchtende nicht von Krieg oder politischer Verfolgung bedroht sind, sondern „nur“ ein Leben am Existenzminimum fristen und deshalb in Zukunft direkt dorthin zurück geschoben werden sollen – zerstören weiter die Hoffnungen Tausender, aber wie bis vor Kurzem wieder ohne allzu große Beachtung zu finden.
Bis es aber soweit ist, vergeht kaum ein Abend, an dem nicht in mindestens drei Polit-Talkshows und Sondersendungen zum Thema Flüchtlinge eine Hand voll Politikern und selbsternannter Expert_innen in Anzug oder Kostümchen in gewählten Worten ihre jeweiligen Standpunkte gegenüberstellen, das ganze Spektakel meist garniert von einem_r nicht weniger adrett gekleideten Repräsentant_in dessen, was in ihrem Jargon „gut integrierte Immigranten“ genannt wird, also einer – vorzugsweise jungen – Person, die bereit ist, in perfektem Deutsch ihre dramatische Geschichte und perspektivlose Situation hier zu schildern, in der sie ohne gesicherten Aufenthaltsstatus nicht arbeiten zu dieser ach so schönen deutschen bzw. europäischen Gemeinschaft in dem Maße beitragen darf, in dem sie gerne würde. Und damit – gewollt oder ungewollt – an der Konstruktion des erwünschten Bildes von arbeits- und integrationswilligen Immigranten mitwirkt, die bereit dazu sind, entweder die Drecksarbeiten zu übernehmen, für die sich deutsche Abiturient_innen zu schade sind oder als hochqualifizierte ausländische Arbeitskräfte Führungspositionen in Wirtschaft und Forschung zu übernehmen. Dieses Bild wird auch von den Befürwortern einer gelockerten Asylpolitik und einer „Willkommenskultur“ kreiert, und dem Schreckensbild des arbeitsfaulen, kriminellen Ausländers, der sich auf Kosten des deutschen Steuerzahlers ein schönes Leben macht, gegenübergestellt. Die jeweiligen Chefideologen gelangen dabei lediglich zu unterschiedlichen Einschätzungen über den Nutzen des menschlichen Materials, das da zu Tausenden über die Grenzen kommt für den (Wirtschafts-)Standort Deutschland bzw. Europa. Sie verbindet aber die Fokussierung auf ebendiesen Nutzen und ein offener oder mal besser mal schlechter versteckter Nationalismus. Die einen schmücken sich nebenbei noch mit einer gehörigen Portion demokratischem Humanismus, und begründen ihr nationales Selbstbewusstsein auf der „Weltoffenheit“ ihrer sogenannten Wertegemeinschaft, die anderen wollen bereits an den EU-Außen- bzw. Binnengrenzen in „echte“ und „falsche“ Flüchtlinge unterteilen und fordern ein härteres Vorgehen gegen „Asylmissbrauch“ sowie das weitgehende Ersetzen des erbärmlichen „Taschengeldes“ durch „Sachleistungen“. Wieder andere, die Hassparolen skandieren und Feuer legen, werden dafür wegen der angewandten Brutalität, und ihrer undemokratischen Vorgehensweise kritisiert, die dem Ansehen Deutschlands in der Welt ernsthaft schaden könnte, nicht jedoch für den ihrem Handeln zu Grunde liegenden Nationalismus. Dieser wird allenfalls für das Ausmaß verurteilt, das er in Gewaltexzessen annimmt, die nicht durch eine höhere Instanz legitimiert sind, anderes, als in von Staaten geführten Kriege oder durch die wirtschaftlichen Verhältnisse, vor denen Millionen die Flucht ergreifen und für die in einer globalisierten Welt die deutsche Wirtschaft und Politik maßgeblich mitverantwortlich sind.
Für eben diese Wirtschaft und Politik sind die Geflüchteten aus der liberal-demokratischen Sichtweise der bürgerlichen Mehrheit auch dann noch nützlich, wenn sie eines Tages in ihre Herkunftsländer zurückkehren, in dem sie mit ihren hier erworbenen Qualifikationen, ihren hier geknüpften wirtschaftlichen, politischen und diplomatischen Beziehungen und ihren hier geprägten Wertvorstellungen den Einfluss Deutschlands und Europas in diesen Ländern stärken.
Nützlich ist, auf einer ideologischen Ebene, auch die aktuelle Inszenierung von – oft institutionalisierter – Hilfsbereitschaft als ein weiterer der einheitsstiftenden Momente für das nationale Gefüge, die gerade bei jeder Gelegenheit gesucht werden um über die klaffenden Gegensätze innerhalb der Gesellschaft hinweg zu trügen und die demokratische Mentalität wieder zu stärken.
„Wir“ als Fußballweltmeister.
„Wir“ gegen den Terrorismus.
„Wir“ als starke Nation in der Griechenland-Krise
„Wir“ gegen das Schlepperwesen.
„Wir“ sind auch dem Flüchtlingsproblem gewachsen.
Angela Merkel, die mit ihrem „Wir-schaffen-das-wir-sind-ein-starkes-Land“- Geschwafel absurder Weise zu so was wie einer Heiligen für viele Flüchtlinge geworden zu sein scheint, hat ganz sicher nicht plötzlich ihr großes Herz entdeckt sondern wittert neue Chancen für einen wirtschaftlichen Aufschwung und dafür, das Gefühl nationalen Zusammenhalts zu stärken. Gleichzeitig werden wieder Grenzkontrollen durchgeführt, sollen „Transitzonen“ eingerichtet werden und wird versucht, mit allerlei diplomatischen Spitzfindigkeiten die Regierungen der Bundesländer und anderer (EU-) Staaten auf Kurs zu bringen um eine „gerechtere Verteilung“ – sowohl innerhalb Deutschlands bzw. der EU als auch an den EU-Außengrenzen wie z.B. durch das jetzt geplante Abkommen mit der Türkei – zu erreichen und so keinen Stabilitätsverlust zu riskieren. Dabei werden wie immer auch gerne Kompromisse mit offiziell geächteten Regimes gemacht, die im Zweifelsfall dann die unschönen aber effizienten Methoden zur „Regulierung“ der Einwanderung anwenden, mit denen sich die hochgelobten Demokratien nur ungern in Verbindung gebracht sehen.
Bei dem Gezanke von links und rechts über die angemessen Methoden und das richtige Maß dieser Regulierung spielen die Konsequenzen von Politik und Wirtschaft, von Schlepperwesen, Grenzregimes und Verfolgung durch staatliche Behörden für diejenigen, die sie täglich am eigenen Leib zu spüren bekommen, nur dann eine Rolle, wenn sie irgendjemandes Standpunkt untermauern. Zwar werden, wenn es wieder einmal Tote gibt, wie neulich die 71 Menschen in einem Kühllaster auf der Autobahn von Ungarn nach Wien, dicke Krokodilstränen vergossen, parlamentarische Schweigeminuten gehalten und Betroffenheit simuliert.
Aber egal wie sich die „Lösung“, die für die aktuelle „Eskalation“ der „Flüchtlingskriese“ gefunden wird, präsentiert, steht bereits jetzt fest, was mit denen passiert, die nicht bereit sind, sich zu integrieren, sich ausbeuten zu lassen unter sklavereiähnlichen Bedingungen oder zu Führungskräften in den Unternehmen zu werden, durch die anderswo Menschen zur Flucht getrieben werden.
Mit denjenigen, die Angela Merkel nicht als Schutzpatronin begreifen, sondern als eine derer, die für die unwürdigen Überlebensbedingungen hier so wie dort, von wo aus sie geflohen sind, verantwortlich sind, und durch den Erhalt von Grenzen und der bestehenden Verhältnisse, die überall so viel Leid verursachen, ihre Macht erlangen.
Was also mit denjenigen passiert, die für uns zu Kampfgefährt_innen werden könnten gegen diese uns gemeinsam unterdrückenden Verhältnisse, gegen Grenzen, Staaten, Politiker und die deutsche wie jede andere Wirtschaft, ist klar: Sie vegetieren in Abschiebeknästen, werden abgeschoben, ermordet, oder landen im Knast, wenn es ihnen nicht gelingt, den als offene Arme präsentierten Fängen den Staates durch ein Leben in der Illegalität zu entgehen.
Versuchen wir, Verbindungen zu knüpfen, nicht aus Mitleid und Gutmenschentum, sondern aus dem geteilten Verlangen heraus, dem, was uns zur Flucht treibt, einsperrt und fremdbestimmt, ein Ende zu bereiten!
PS: Wer von Medien oder Politik was anderes erwartet hat oder irgendwas erwartet, dem ist eh nicht zu helfen!