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Die «HMS Bulwark» der britischen Royal Navy ist ein mächtiges Kriegsschiff, ein Bollwerk, wie es der Name sagt: 176 Meter lang, 325 Mitglieder als Besatzung, ein amphibisches Landungsschiff, das Truppen übers Meer in Kriegsgebiete transportiert. Letzte Woche erschienen in britischen Medien Fotos und ein Video, wie die «Bulwark» 400 Flüchtlinge nahe der libyschen Küste rettet: Soldaten hinter Gesichtsmasken greifen mit Landungsschiffen die Flüchtlinge von Schlauchbooten auf. Diese erhalten orange leuchtende Rettungswesten und verschwinden im riesigen Bauch der «Bulwark». Später wurden sie in Sizilien den italienischen Behörden übergeben.
Die perfekt inszenierten PR-Bilder der Navy – auch die Aufnahme einer Samariterin in Uniform mit verängstigtem Kleinkind im Arm fehlt nicht – erreichten die Öffentlichkeit kurz vor einem Treffen der Aussen- und der VerteidigungsministerInnen der Europäischen Union. Am Montag beschlossen diese in Brüssel die Militäroperation «Eunavfor Med». Die oberste Priorität hat dabei aber nicht die Rettung von Flüchtlingen, sondern die Zerschlagung von Schleppernetzen. Beschlossen ist fürs Erste, dass die Schlepper mit Drohnen und Satelliten aufgespürt werden sollen. In einem nächsten Schritt sollen ihre Boote auf hoher See aufgegriffen und zerstört werden. Auch werden Einsätze von Spezialeinheiten an der libyschen Küste diskutiert, um Boote noch vor dem Ablegen zu zerstören (vgl. WOZ Nr. 18/2015).
Um die Risiken der Operation weiss der EU-Rat. In einem internen Papier heisst es, Operationen gegen Schlepper in Anwesenheit von MigrantInnen könnten «ein hohes Risiko von Kollateralschäden und den Verlust von Menschenleben» mit sich bringen. Die Kosten für die auf ein Jahr befristete Operation betragen zwölf Millionen Euro, beteiligen wollen sich Britannien, Frankreich, Deutschland, Spanien, Italien und Malta. Britannien hat bereits den Einsatz der «HMS Bulwark» zugesichert.
Der Militäreinsatz bedeutet eine massive Eskalation der europäischen Flüchtlingspolitik: Zwar werden im Grenzschutz schon lange zivile und militärische Mittel vermischt. So besteht eine der Hauptaufgaben der Grenzschutzagentur Frontex darin, mit Rüstungsfirmen immer ausgefeiltere Technologien zur Grenzkontrolle zu entwickeln. Doch dass auf europäischer Ebene der Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer mit einer militärischen Kommandostruktur begegnet wird, ist eine neue Dimension. Oder – deutlich gesagt – eine Kriegserklärung, weshalb die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini vor dem Uno-Sicherheitsrat um Unterstützung und damit um die völkerrechtliche Legitimation geworben hat. Für die Zerstörung von Schiffen sowohl auf hoher See wie in Libyen bräuchte sie ein entsprechendes Mandat.
Wohl betonen die PolitikerInnen, die Militäroperation richte sich nur gegen Schlepper und nicht gegen Flüchtlinge. Doch wer die Migration nach Europa illegalisiert und anschliessend die NutzniesserInnen des so entstandenen Schwarzmarkts bekämpft, bewirkt bloss eines: Der Weg nach Europa für die Flüchtlinge aus dem Bürgerkrieg in Syrien oder der Militärdiktatur in Eritrea wird noch gefährlicher. Der Krieg gegen die Schlepper trifft am Schluss die Flüchtlinge.
Nach den jüngsten Schiffsunglücken im Frühling schien eine humanitäre Wende möglich: Erstmals diskutierte die EU über Quoten zur Flüchtlingsverteilung, wenn auch bloss für den Notfall, und über ein Kontingent für besonders verletzliche Flüchtlinge, wenn auch ein beschämend kleines. Am Schluss bleibt vorerst nur die militärische Option: Schotten dicht. Auch Bürgerliche in der Schweiz können sich einen Mittelmeereinsatz der Armee vorstellen. Es ist auch unser Krieg.
Vielleicht wirkt die Szenerie vom kleinen Schlauchboot und vom grossen Kriegsschiff auch deshalb so verstörend, weil das Schlauchboot in seiner Unterlegenheit daran erinnert, wozu Schiffe eigentlich da sind: nicht um zu zerstören, sondern um aufzubrechen.