Neues aus der Rubrik „Fremdenrecht“…

übernommen von der Revolte Nr. 27 – anarchistische Zeitung aus Wien

…gibt es immer, jedes Jahr beginnt der ganze Zirkus von Neuem – quer durch die Parteien scheint es einen regelrechten Wettkampf zu geben, wer noch weitere Gemeinheiten aus den Hut zaubern und mehr Brutalität walten lassen kann. Auf vielen Ebenen wird versucht darauf zu reagieren – NGOs beziehen Stellung, die Opposition ebenso, Demos finden statt, etc. Am Ende des Tages werden schwammige Paragrafen von Schreibtischtäter*innen produziert, welche wohl besser klingen sollen und vor allem nicht so leicht (wieder) von den Höchstgerichten außer Kraft gesetzt werden. Wenn der Staat sich ja zu gewissen Rechten explizit verpflichtet, da kann es schon mal vorkommen, dass nicht alles durchgeht. Da gibt es zum Beispiel die Genfer Flüchtlingskonvention, die sagt wer Flüchtling ist. Und dann gibt es da noch das Asylgesetz, das stützt sich auf die Konvention und da sind noch ein paar eigene Sachen mitreingenommen, wie das in Österreich auszuschauen hat. Und dann gibt es da noch ein, zwei, drei andere Gesetze, die noch sagen, wie das alles auszusehen und zu passieren hat usw. Wenn man sich dann innerhalb des Rechtskonstruktes bewegt, erkennt man schnell, dass die “völkerrechtliche Verpflichtung” aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention, die der Staat eigentlich innehat, zum Gnadenakt pervertiert. Das Interesse des Staats liegt viel mehr darin möglichst viele Menschen schnell wieder loszuwerden – hinsichtlich der Fragestellung zu Migrationsbewegungen und auslösende Ursachen sind wie immer keine Konzepte sichtbar. Nicht dass man das erwarten würde. Nicht nur die in jüngster Vergangenheit gehäuft passierenden (Charter-)Abschiebungen zeigen die praktische Brutalität. Die Grausamkeiten und (rechts-)staatlichen Gewalttaten, die zur Zeit geschehen, stehen im Gesetz bereits festgeschrieben – die Willkür der (Asyl-)Behörden kommt da noch dazu. Die Fremdenrechtsnovellierungen sowie die rechtspolitischen Diskurse der letzten Jahrzehnte spitzen sich immer weiter zu. Die Basis ist jedoch immer schon die gleiche: Diese Gesetze machen Menschen zu Objekten und verfügen völlig willkürlich darüber.

Jetzt verhält es sich so, dass es in einem Asylverfahren u.a. mehrere „Beweise“ gibt, die herangezogen werden um abzuwägen, ob Asyl oder ein anderer Schutz erteilt wird. Auf der einen Seite steht die Aussage der betroffenen Person, sprich das sogenannte Interview ist das wichtigste „Beweisstück“. Auf der anderen Seite haben die Instanzen im Asylverfahren gewisse Werkzeuge, um diese Aussage zu überprüfen und demnach als glaubwürdig zu bewerten oder eben nicht. Beispiele für diese Glaubwürdigkeitsprüfung sind unter anderem Altersschätzungen, Länderberichte der (österreichischen) Staatendokumentation, Sprachanalysen, psychologische Gutachten, länderkundige Personen, etc. Die Leute, die über die Asylverfahren entscheiden, waren zumeist nie in den relevanten Ländern und ziehen eben diese Gutachten, Schätzungen, Berichte von Menschen, NGOs, regierungsnahen Stellen u.A. als Basis für die Entscheidung heran.

All diese Werkzeuge haben gemeinsam, dass sie eine Aussage treffen, wie die Lebensrealität der betroffenen Person und/oder ihres Herkunftslandes „wirklich“ ist – sprich diese Werkzeuge inklusive dem innehabenden „Wissen“ dafür zu nutzen, Aussagen zu treffen, woher die Person komme, wie alt sie sei, was „bei ihr“ abgehe und wie alles „dort“ funktioniere. Dass diese Wissens- und Forschungspraktiken selbst in einem Zusammenhang mit historischen und politischen Gewalt-, Macht- und Herrschaftsverhältnissen stehen, ist dabei kein Thema – warum auch, die Interessen des Staates stehen ja im Vordergrund. Trotzdem werden diese Aussagen als Beweis für oder gegen die “Glaubwürdigkeit” der betroffenen Person verwendet bzw. an Hand dessen festgestellt, ob die Person in dem betreffenden Land “sicher” ist bzw. eine Rückkehr dorthin zumutbar ist. Das “Wissen” der betroffenen Person, welche die eigentliche Expert*in für ihre Lebensrealität ist, wird dabei unterdrückt. Somit hält die vermeintliche “Wissenschaft” Einzug in das Asylverfahren – wer dann beherrscht, unterdrückt und benutzt, ist selbsterklärend und eben diese Gewalt des “Wissens” schlägt sich dann in der praktischen Brutalität von Abschiebungen wieder.

Ein Beispiel für dieses Phänomen ist die Entscheidungspraxis der Asylinstanzen in Hinblick auf Afghanistan, welche sich im letzten Jahr massiv verändert hat. Dem vorangegangen ist ein Abkommen zwischen der EU und Afghanistan von Oktober 2016, in dem sich Afghanistan dazu verpflichtet, afghanische Staatsangehörige, welchen kein internationaler Schutz zuerkannt wurde, zurückzunehmen. Dieses Abkommen trat im Frühjahr 2017 in Kraft und ermöglichte erstmals seit Jahren Abschiebungen von Österreich nach Afghanistan. Fast zeitgleich erschien ein “Gutachten” zu Afghanistan von Karl Mahringer, welcher erst kurz zuvor in die Sachverständigenliste eingetragen wurde und der einzige Sachverständige für die Länder Afghanistan, Irak und Syrien ist. Mahringer schlussfolgerte in diesem „Gutachten“, dass für abgeschobene ehemalige Asylsuchende in Kabul eine Neuansiedelung und Existenzgrundlage möglich ist. Er selbst ist ein Geschäftsmann, hat laut eigenen Angaben von 2009 bis 2014 in Afghanistan gelebt, reist jetzt immer noch nach Afghanistan und hat dort viele Kontakte. Seine Interessen und Connections seien dahingestellt, nicht unerwähnt bleiben sollten seine Tätigkeiten als Wirtschaftsberater in Regierungskreisen und sein Pläuschchen mit einem „Taliban-Führer“. Und dieser Kerl sagt dann einfach mal wie es denn in Kabul so bestellt ist – und zwar aus seiner Sicht. Als einziger eingetragener Sachverständige in Österreich mit all den geo- und rechtspolitischen Interessen im Hintergrund ist es demnach nicht schwierig als vermeintlicher Experte – nicht nur gegenüber der betroffenen Person sondern auch noch ganz nebenbei diametral zu den anderen Berichten zu Afghanistan – dazustehen.

Jetzt ist das sowieso schon ein ziemlich klares Interessens- und Gewaltkonstrukt, was das Asylverfahren angeht. Neben der rassistischen (Verwertungs-)Politik und den ganzen anderen Gemeinheiten innerhalb des Verfahrens werden die Aussagen der betroffenen Personen den „wahren“ Aussagen gegenübergestellt und in „echte“ und „Wirtschaftsflüchtlinge“ eingeteilt. Aber dann kommt da noch dieser Mahringer und treibt das nochmal mehr auf die Spitze, und zwar auf einer richtig schlechten Basis – seinem sogenannten „Gutachten“. Dieses „Gutachten“ wurde nunmehr angegriffen, ein Plagiatsjäger hat sich das mal genauer angesehen und es als Kategorie „Reisebericht“ befunden. Die Werkzeuge des Systems wurden gegen das System selbst eingesetzt – auch das kann eine Methode sein – wenn auch keine grundlegende. Mahringer steht selbst am Prüfstand vor Gericht und es bleibt abzuwarten, ob er als „echter“ oder „falscher“ Gutachter definiert wird. Es ist gut, dass Mahringer selbst am Prüfstand steht – unabhängig davon dass er selbst gar nicht so viel zu verlieren hat. Selbstredend, dass das alles immer noch innerhalb eines Systems passiert, welches dadurch nicht verändert wird – für manche Menschen ändert das jedoch einiges. Der Staat nimmt sich weiter das Recht raus, über das Leben von Menschen zu entscheiden. Die Schreibtischtäter*innen werden sich wieder an die Arbeit machen, die rassistische Politik bleibt, Ausgrenzung und Selektion werden dadurch nicht verhindert. Solche „Expertisen“ sollen dennoch keinen Einzug finden in das ohnehin schon rassistische Gewaltmonopol der Asylbehörden.

Wir haben klar erkannt, dass Gesetze und das „Recht“ nicht für uns geschrieben wurden, sondern zur Festigung der bestehenden Verhältnisse und zum Schutz der herrschenden Ordnung, auch wenn es immer wieder mal Schlupflöcher und Grauzonen gibt, die wir temporär nutzen können. Und dennoch: es ist wünschenswert, sich gegen die Definitionsherrschaft des Staates und seiner Schergen aufzulehnen und diese zu bekämpfen. Und ein – wenn auch sehr beschränktes – Mittel kann sich auf diese Weise gegen die Paragrafen und Verantwortlichen richten, die uns „definieren“ und uns kontrollieren wollen.